Kultur Tabu-Bruch für Voyeure und Exhibitionisten

Saarbrücken · Hingucker im „Jules Verne“: Mit den freizügigen Bildern ihrer zweiten Einzelausstellung fordert die Künstlerin Ada Fitz: „Regarde moi!“

Ein ganz normaler Nachmittag im „Jules Verne“ in der Mainzer Straße. Alles scheint wie immer – bis auf die vielen Gemälde, die mit schwarzen Laken verhüllt, überall im Laden hängen. Die Szenerie wirft Fragen auf. Von irgendwo her kommt ein zarter Windhauch, der eines der Laken beiseite weht und so die pikanten Details des Gemäldes offenbart: ein männliches Glied. In unmittelbarer Nähe zu einem weiblichen, fordernd geöffneten Mund.

„Regarde moi“ – wohl der Leitspruch eines jeden Exhibitionisten. Aber auch der Titel, den die Künstlerin Ada Fitz ihrer gerade im Jules Verne stattfindenden Ausstellung gegeben hat. Und der Name ist Programm, die Gemälde zeigen verschiedene Momente sexueller Begierde.

Ada Fitz ist ein Multitalent: Produktdesignerin bei Villeroy&Boch, Tattoo-Künstlerin im eigenen Studio und schließlich auch Malerin. Sich selbst und ihre Kunst entdeckt sie gerne regelmäßig neu – das aktuelle Thema beschäftigt sie seit ihrer Jugend. Die 31-Jährige stammt aus Albanien, konnte dort nie offen über Sexualität sprechen. Mit diesen Tabus bricht sie in ihrer jetzigen Ausstellung. Das Gegensatzpaar Voyeur und Exhibitionist ist dabei allgegenwärtig.

In ihren Werken zeigt sich die Künstlerin einerseits exhibitionistisch, indem sie provokativ ihr Innerstes nach außen kehrt. Andererseits fungiert sie als Voyeurin, indem sie etwa bei der Vernissage die Besucher bei ihrem eigenen voyeuristischen Akt, dem Betrachten der Bilder, beobachtet.

Die schwarzen Laken über den Gemälden dienen im Übrigen nicht der Konservierung, sondern sind Teil des Konzeptes. Man kann nicht verstohlen von seinem Platz aus einen flüchtigen Blick auf die Werke riskieren. Im Gegenteil, man muss aktiv werden, aufstehen, den Vorhang beiseite schieben und sich somit selbst als Voyeur outen.

Lediglich ein einziges Gemälde bleibt unverhüllt: Ein zwei mal zwei Meter großes Porträt. Warum? „Erotik und Leidenschaft entstehen für mich zuerst durch die Mimik eines Menschen“, erklärt Ada Fitz. Ein Gesicht ist das, was man direkt sieht. Alles andere muss man erst auspacken, so wie die übrigen Bilder. Eines gelingt der Künstlerin mit ihren Werken besonders gut. Nämlich zu zeigen, dass Nacktheit und Schutzlosigkeit nicht selbstverständlich sind, sondern eine gewisse Magie in sich tragen.

Auf eine gewisse Art und Weise ist nicht nur das Thema der Werke magisch, sondern auch der Ausstellungsort. Keine kühle, unpersönliche Galerie, sondern eine Saarbrücker Institution, wo man sich mittags zum Kaffee und abends zum Crémant trifft. Für das „Jules Verne“ ist es die erste Ausstellung, doch der Erfolg macht Lust auf Mehr.

Die Idee entstand, als sich Ada Fitz und Giovanni D‘Arcangelo, der Besitzer des „Jules Verne“, über einen gemeinsamen Freund kennenlernten. Wie das in Saarbrücken eben so läuft. Somit wird Fitz‘ Kunst also nicht in einen neutralen Raum verfrachtet, sondern in die Stadt getragen und somit Teil des urbanen Erlebens von Kunst und Kultur. Fitz schwärmt in diesem Zusammenhang von einem gewissen „Pariser Flair“ – durch das „Jules Verne“ als Ausstellungsort wurde ihre Kunst greifbar und lebendig gemacht.

Lebendig war vor allem auch die Vernissage. „Der Abend hat gelebt“, erinnert sich Ada Fitz. „Das Schönste an einer Ausstellung ist, wenn die Leute anfangen zu diskutieren“, erzählt sie weiter. Und da Sexualität immer ein Thema ist, gab es auch regen Diskussionsbedarf. Mit der Vernissage wollte Fitz vor allem auch Künstler zusammenbringen und Raum für neue Inspiration bieten. Mit Erfolg. Dass die Ausstellung und die Straßen-Perfomances „Bodies Landscapes“ des Tanz-Ensembels „Osmosis Cie“ zusammenfielen, war purer Zufall. Erst bei der Vernissage entstand die Idee, die Projekte zu fusionieren. In Zusammenarbeit mit dem Designer Fabian Schmidt und den Fotografen Lukas Pell, Benny Dutka und Marisa Winter entstand schließlich ein stimmiges, spontanes Gesamtpaket. Eine lebendige Kunstszene par excellence eben.

Wer sich jetzt fragt, „Bin ich Exhibitionist oder Voyeur?“, hat noch bis einschließlich Sonntag die Möglichkeit, das herauszufinden.

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