Besuch beim Aufbau der neuen Ausstellung in der Stadtgalerie „Tupamaras Technophallus“: Wo queere Kunst auf Video trifft

Saarbrücken · Queere Künstler aus Kolumbien und ein mächtiges 360-Grad-Kunstwerk in Saarbrücken: In der Saarbrücker Stadtgalerie entsteht gerade etwas Spannendes. In wenigen Tagen ist Eröffnung.

 Anna Ehrenstein in ihrem 360-Grad-Kunstwerk in der Stadtgalerie.

Anna Ehrenstein in ihrem 360-Grad-Kunstwerk in der Stadtgalerie.

Foto: Iris Maria Maurer

Die Woche vor einer neuen Ausstellungseröffnung ist in der Stadtgalerie Saarbrücken immer spannend. Bei  unserem Besuch sind Techniker gerade mit vier großen Schwarzlicht-Lampen beschäftigt, die einen der Räume in dunkles Licht tauchen werden. In dem sollen die Farben eines übergroßen Plakats des Projekts „Tupamara Technophallus“ von Anna Ehrenstein geheimnisvoll leuchten. Es soll so ein bisschen Club-Gefühl entstehen“, sagt die junge Künstlerin, „auch wenn die Clubs schon solange nicht geöffnet sind“.

Das Herzstück ihrer Ausstellung ist jedoch in einem anderen Raum aufgebaut, und das hat es wirklich in sich. Denn dem Techniker der Stadtgalerie, Jörg Schallmo, ist es gelungen, eine raumhohe 360-Grad-Installation zu bauen, in der das Video „Tupamaras Technophallus“ der Künstlerin gezeigt werden wird.

Dafür hat Anna Ehrenstein mit einer 360-Grad-Kamera in übergroßen, bewegten und sich schnell abwechselnden Bildern zu mitreißender Hip-Hop-Musik acht queere Personen beim Tanzen gefilmt, die Kostüme tragen, die man getrost als schrill bezeichnen kann.

„Das ist ein Kollektiv aus Kolumbien, das sich Tupamara nennt. Wir haben zusammen dieses Projekt umgesetzt, in dem wir uns dem Thema der Vorherrschaft des weißen heterosexuellen Mannes widmen, aber das Ganze sollte witzig umgesetzt werden“, sagt die Künstlerin.

Anna Ehrenstein wurde 1993 in Dortmund geboren, ist in Deutschland und Albanien aufgewachsen, studierte in Dortmund Fotografie und in Köln Medienkunst. 2020 machte sie ihr Diplom, seither lebt sie in Berlin und Tirana, besuchte ergänzend noch kuratorische Kurse.

Anna Ehrenstein arbeitet gerne im Kollektiv, daher sucht sie sich in ihren Projekten immer weitere Kunstschaffende, mit denen sie kooperiert. So erhielt sie im Jahr 2020 ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdiensts für Bildende Kunst in Bogota, Kolumbien. Dort lernte sie über Bekannte die Gruppe Tupamara kennen, deren Name allein schon Programm ist.

Denn Tupamaros ist eigentlich eine uruguayische Guerillabewegung, Tupamara ist die weibliche Form davon. Die acht Performer, die im Video vorgestellt werden, wirken nicht wie Mann oder Frau, sondern eher wie Außerirdische. Sie werden auch nicht nur beim Tanzen gezeigt, sie werden auch interviewt, kommen zu Wort. Und sie berichten von ihrem Alltag als Performancekünstler, Tänzer und Medienkünstler aber auch vom Leben als queere Person in Kolumbien.

Dabei sind alle stark geschminkt, tragen schrille, schillernde Kostüme aus Lack, Leder, Glitzer und Folien, aber in einem Design, das an eine Flugzeugkonstruktion erinnert. Die Kostüme stammen von der Designerin Virginia Francia. Die Bilder dazu sind sehr ungewöhnlich, denn um den Kontrast von Queerness und männlich dominierter Technologie zu demonstrieren, wurde ein Teil des Videos in einem alten Flugzeug-Cockpit gedreht. Dazu wurde das Video sehr schnell geschnitten, die Musik ist laut und eingängig und wenn man sich in die Mitte der 360-Grad-Konstruktion stellt, ist der Eindruck allumfassend.

„Das Video haben wir kurz vor dem Lockdown im Jahr 2020 gedreht. Glücklicherweise konnten wir die Aufnahmen vorher fertig machen, sodass ich dann während des Lockdowns das Video geschnitten habe“, erklärt Anna Ehrenstein. Idee und Aufnahmen des 15-minütigen Films stammen von ihr.

Anna Ehrenstein zeigt in ihrer Ausstellung aber nicht nur das Video, sondern auch sieben kleine Installationen. Die zeigen auf Kunstseide abgedruckte Bilder der Tupamaras, diese Stoffe werden mit knallbunten Folien oder Kunstfellen arrangiert und sind wie an einer Kleiderstange befestigt. Anna Ehrenstein wollte ihre Fotografien nicht einfach auf Papier und an Wänden zeigen, sondern sie mit Materialien verbinden, die eine eigene Geschichte erzählen.

„Die Materialien stammen allesamt von den Märkten Bogotas. Und sie wirken etwas billig. Aber ich zahle lieber den Künstlern ein Honorar, als dass ich teure Materialien nutze“, erklärt sie. Außerdem ließen sich die Stoffe sehr platzsparend in einem Koffer transportieren.

Auch das ist Anna Ehrenstein wichtig, denn sie ist viel unterwegs. So gab sie in letzter Zeit Workshops in Tirana, Berlin und Dublin, bei denen sie mit Jugendlichen an Rap-Musik-Videos gearbeitet hat. Außerdem konnte sie Teile der Ausstellung „Tupamaras Technophallus“ auch schon in Berlin und in Zürich zeigen, war dort vor Ort. Das Video ihres Projekts wurde bisher allerdings noch nicht in einer 360-Grad-Installtion gezeigt, wie sie nun in der Stadtgalerie gebaut wurde. Dessen Wirkung beeindruckt selbst die Künstlerin.

 Den zweiten Teil der Ausstellung bestreitet Lukas Ratius mit Bildern u.a. aus dem Zyklus „Der Apparat“.

Den zweiten Teil der Ausstellung bestreitet Lukas Ratius mit Bildern u.a. aus dem Zyklus „Der Apparat“.

Foto: Ratius/Lukas Ratius

„Anna Ehrenstein. Tupamaras Technophallus“. Die Ausstellung ist vom 18. Februar bis zum 15. Mai in der Stadtgalerie Saarbrücken zu sehen. Die Eröffnung ist am Freitag, 18. Februar, eine Anmeldung aufgrund der Coronamaßnahmen erforderlich. Parallel mit Ehrensteins Arbeiten zeigt die Stadtgalerie Arbeiten des Künstlers Lukas Ratius (Bericht folgt). Weitere Infos: www.stadtgalerie.saarbruecken.de/ausstellungen

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