Arbeit am zentralen Bildgedächtnis

Scheidt · In einem unauffälligen Gebäude sind die Bestände des saarländischen Landesarchivs untergebracht. Wissenschaftler nutzen es, Heimatforscher auch. Und gelegentlich kommen Fußballspieler vorbei. SZ-Redakteurin Ilka Desgranges sprach mit dem Historiker Paul Burgard über seinen Arbeitsplatz.

 Historiker Paul Burgard inmitten der Bestände des Landesarchivs in Scheidt. Foto: Iris Maurer

Historiker Paul Burgard inmitten der Bestände des Landesarchivs in Scheidt. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Herr Burgard, das Landesarchiv ist in Scheidt sehr versteckt untergebracht. Was heißt das für Sie?

Paul Burgard: Wenn Sie nach München gehen oder nach Hamburg, finden Sie eine ganz andere Archivtradition. Da haben Sie große Archive in Renommier-Gebäuden. Aber es ist in diesem Land so, dass wir mit ganz anderen Bedingungen zurechtkommen müssen. Wir waren - und da tut sich die Kehrseite der Medaille auf - zunächst einmal froh, als wir vor 17 Jahren nach Scheidt gezogen sind. Das war das erste Mal, dass das saarländische Landesarchiv überhaupt ein eigenes Haus hatte, wo es die kompletten Bestände unterbringen konnte.

Wenn man das Gebäude sieht, hat man den Eindruck, das Wissen über das Bundesland und seine Vergangenheit ist in einem Lager gelandet.

Burgard: Es sind ja in der Tat alte Produktionshallen einer Druckerei. Und vieles von dem, was bei uns untergebracht ist, also die alten Aktenbestände des Landes, der Ministerien, der Behörden, muss zunächst ja mal sachgemäß gelagert werden. Insofern braucht man Lagerraum. Wir haben jetzt über 5000 Quadratmeter, die zum überwiegenden Teil mit Magazinen und Rollregalen gefüllt sind. Und wenn es normal läuft zu vernünftigen klimatischen Bedingungen, kommt der Bau einer Primärfunktion des Archivs entgegen. Es geht darum, dass mittlerweile 16 Kilometer laufende Akten überhaupt sachgerecht untergebracht werden können.

Was ist denn das Kostbarste, was verwahrt wird?

Burgard: Unsere ältesten Archivalien stammen aus dem zwölften Jahrhundert. Wir haben eine Papsturkunde von 1154 für das Kloster Fraulautern. Daran fasziniert mich immer wieder, wie gut erhalten sie ist. Je jünger die Speicher- und Trägermedien werden, um so schneller sind sie hin.

Was kann man tun?

Burgard: Das ist in der deutschen Archivlandschaft eines der größten Themen überhaupt. Da geht es nicht nur um das Speichern, sondern um Fragen wie: Was ist in einer Welt, in der alles digital abläuft, überhaupt das Original?

Wer bestimmt denn, was das Original ist?

Burgard: Es ist vorgesehen, dass digitale Dokumente eine Signatur erhalten, die sie quasi fälschungssicher macht und damit als Originale auszeichnen. Außerdem soll in der digitalen Zukunft die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Archiv intensiviert werden, sodass quasi schon a priori festgelegt ist, was für die Zukunft gesichert werden kann. Bisher kommt aber immer noch sehr viel Papier ins Haus.

Sie sind kein Archivar, sind für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und publizieren viel.

Burgard: Richtig, ich bin zwar Historiker und habe schon einige Geschichtsbücher veröffentlicht, habe aber nie eine Archivschule besucht. Das haben die Fachkollegen in unserem Haus getan, und diesen vier von insgesamt zehn Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen obliegt auch die eigentliche archivische Arbeit. Wie komplex die ist, das kann man schon an den folgenden Zahlen sehen: Von der Gesamtmasse an Akten, die produziert werden, kommen maximal drei bis fünf Prozent tatsächlich ins Archiv. Das heißt, das Ganze muss entsprechend vorgefiltert werden. Das haben die Archivare zu leisten. Sie müssen heute entscheiden, was morgen unsere Geschichte ist. Wobei sich das sehr geändert hat. Inzwischen werden ganz neue Arten von Quellen gespeichert. Bilder zum Beispiel. Fotografien waren ja sehr, sehr lange geradezu verschmäht. Inzwischen nimmt man sie als sehr, sehr originäre Quellen, aus denen Dinge herauslesbar sind, die oft aus schriftlichen Quellen gar nicht herauslesbar sind.

Gibt es etwas, was Ihnen besonders gefällt aus den Beständen des Landesarchivs?

Burgard: Fasziniert bin ich immer noch vom sehr alten Quellenmaterial, weil es etwas mit sich bringt, was man unter Aura versteht. Da geht es um die Konsistenz des Papieres, oft hängen alte Siegel dran. Das vermittelt das Gefühl, dass das unmittelbar aus der Zeit auf uns herüber gekommen ist. Wir haben zum Beispiel eine der damals sehr berühmten Schedel'schen Weltchroniken, eine kolorierte Ausgabe in Latein von 1493, im Landesarchiv.

Im Landesarchiv sind ja auch die Sportfotografien des früheren SZ-Fotografen Ferdi Hartung untergekommen.

Burgard: Es dürften so an die 300 000 Fotos sein. Um die 200 000 sind inzwischen digitalisiert. Der Schwerpunkt Sport spielt dabei eine große Rolle.

Nun hat Ferdi Hartung ja sehr viele einzelne Fußballszenen festgehalten. Was macht ein Landesarchiv damit?

Burgard: Wir haben zwei Fußballbücher gemacht. Wir haben da sicherlich nach eigenen Interessen gehandelt, aber auch versucht, eine Art Kulturanthropologie des Fußballs mit Bildern zu machen. Wir haben eine Systematisierung dessen versucht, was Fußball ist oder sein kann. Und wir haben gleichzeitig versucht, die jeweilige Zeit ein Stück weit mit einzufangen. Das ist ja auch unsere Aufgabe. Wir haben nicht so viele Pfunde, mit denen wir archivhistorisch wuchern können, daher wäre es sicherlich sehr sinnvoll, so etwas wie ein zentrales Bildgedächtnis des Landes aufzubauen.

Wer kommt? Wer nutzt das Archiv?

Burgard: Unterschiedlich. Natürlich die Universität. Bei Promotionen auch Jungwissenschaftler aus ganz Deutschland, wenn sie sich etwa mit dem Verhältnis Deutschland-Frankreich beschäftigen. Das ist ein Feld, das ganz interessant ist für Auswärtige. Es kommen sehr, sehr viele Heimatforscher . Und durch die Bildbestände kommen dann auch welche dazu, die sonst nie in das Archiv gekommen wären. Zum Beispiel ehemalige Bundesligaspieler.

Vielleicht können Sie das Landesarchiv ein bisschen in die Landeshauptstadt einordnen. Spielt es eine Rolle in Saarbrücken und für Saarbrücken?

Burgard: In Scheidt liegen wir topografisch gar nicht so verkehrt. Wir sind sozusagen einen Hügel entfernt von der Universität, mit der uns inhaltlich sehr viel verbindet. Aber in einer Kultur-Topografie haben wir natürlich den schwersten Stand. Zunächst weiß ja eigentlich gar niemand, dass es uns gibt. Wenn wir uns nicht nur als Landesinstitution begreifen, sondern als jemand, der aktiv Geschichtskultur-Politik für das Land macht, spielt die Landeshauptstadt in unserem sehr kleinen und sehr überschaubaren Land eine immens wichtige Rolle. 90 Prozent der historisch-politisch verbindlichen Traditionslinien führen halt über Saarbrücken.

Zum Thema:

Auf einen BlickUm das Interesse für die Aufgaben und Leistungen des Saarländischen Landesarchivs in der Öffentlichkeit zu stärken, wurde im Jahr 2004 die "Vereinigung zur Förderung des Landesarchivs Saarbrücken" gegründet. Ihr Vorsitzender ist der Frühneuzeithistoriker Prof. Dr. Wolfgang Behringer (Uni Saarbrücken), zu seinen Mitgliedern zählen neben Einzelpersonen auch Institutionen, Unternehmen und Gemeinden. Der Förderverein, der mit seiner Arbeit das Landesarchiv ideell und materiell unterstützt, ist als Herausgeber auch Träger der Schriftenreihe "Echolot. Historische Beiträge des Landesarchivs Saarbrücken". Seit 2005 sind dort 17 Bände zu sehr verschiedenen Aspekten der saarländischen Geschichtskultur erschienen. red

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