Nazi-Opfer aus Riegelsberg Eingesperrt, vergiftet, vergast, verhungert.

Riegelsberg · Heute, am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, erinnert das Saarland an die ermordeten angeblichen Kranken.

 Am Krematorium der Tötungsanstalt Hadamar  rauchte zur Nazi-Zeit unablässig der Schornstein. Der schwarze Ruß stieg deutlich sichtbar für jedermann in den Himmel. Der beißende Geruch von verbranntem Menschenfleisch hing allgegenwärtig in der Luft.

Am Krematorium der Tötungsanstalt Hadamar rauchte zur Nazi-Zeit unablässig der Schornstein. Der schwarze Ruß stieg deutlich sichtbar für jedermann in den Himmel. Der beißende Geruch von verbranntem Menschenfleisch hing allgegenwärtig in der Luft.

Foto: Fotosammlung Gedenkstätte Hadamar/Horst Ziegenfusz

Nach neuesten Erkenntnissen wurden in der Zeit des Nationalsozialismus rund 400 000 Frauen und Männer gegen ihren Willen sterilisiert. Rund 300 000 Menschen wurden in Heil- und Pflegeanstalten systematisch vergast, durch Medikamente vergiftet oder durch Nahrungsentzug getötet. An diesen Verbrechen beteiligt waren Ärzte, Hebammen und Pflegepersonal, die im Auftrag des Reichsinnenministeriums alle – nach Nazi-Definition – erbkranken oder behinderten Kinder und Erwachsenen melden mussten. Nur ein geringer Prozentsatz des medizinischen Nazi-Personals wurde nach dem Krieg gerichtlich verurteilt.

Das Saarland war von der Krankenmord-Aktion so hart wie kaum eine andere Region in Deutschland betroffen. Die beiden Anstalten in Merzig und Homburg wurden zu Kriegsbeginn geschlossen. Sie lagen in der sogenannten „Roten Zone“, die geräumt werden musste.

Die Patienten wurden vor allem nach Hessen-Nassau verlegt. Von den über 1100 Psychiatriepatienten, die vor dem Krieg in den beiden saarländischen Anstalten untergebracht waren, überlebte nicht einmal ein Viertel das Kriegsende.

Trotz strikter Geheimhaltung durch die Behörden erfuhr die Öffentlichkeit bald von den Massenmorden. Lediglich ein Teil der Bevölkerung war empört. Protest kam jedoch von den Kirchen (Clemens August Graf von Galen, der Bischof von Münster). Im August 1941 wurden die Krankenmorde offiziell gestoppt, insgeheim lief die Aktion bis zum Kriegsende weiter.

Warum so viele Familien angesichts der Ermordung ihrer Kinder und Angehörigen schamhaft verstummten und auch nach dem Krieg nur wenige Anzeigen erstatteten, mag an dem gefühlten „Makel“ liegen, behinderte Familienmitglieder zu haben. Dies erschwerte auch die Aufarbeitung nach Kriegsende. Und so kamen die meisten Täter ungeschoren davon. Viele Ärzte praktizierten bis in den Ruhestand weiter.

Auch neun Patienten aus Riegelsberg fielen dem sogenannten „Euthanasie“-Programm zum Opfer.Das Schicksal von Ida Rahm zeigt beispielhaft, welches Leid sie erfahren haben. Ida Rahm (oder Rahn), geb. Presser, geboren am 16.02.1902 in Güchenbach, wohnte mit ihrem Ehemann Bernhard in der Ziegelhütter Straße 38. Sie hatte fünf Kinder, von denen zwei früh starben. Sie kam 1934 in die Nervenheilanstalt in Merzig, wo sie fünf Jahre blieb. Ihr Zustand wurde bei der Ersteinweisung am 27.10.1934 als „besserungsfähig und heilbar“ beschrieben. Ihr Mann sagte bei der Einweisung angeblich, dass sie ihren drei Kindern den Kopf abhacken wolle.

In den Patientenakten, die im Bundesarchiv in Berlin lagern, wird der angebliche Verlauf ihrer Krankheit sehr ausführlich geschildert.

Die Akten aus der Nazi-Zeit beschreiben Ida Rahms angebliche Krankengeschichte wie folgt: Rahms Stimmungslage wechselte stark. Anfangs zeigte sie „keinerlei Spontaneität“, „antwortet nicht auf Fragen“, „deutet an, nicht sprechen zu können.“ Daraufhin wurde sie mit einer „Schwefelöl-Injektion“ behandelt und begrüßte „am nächsten Tag den Arzt spontan“; sie äußerte sich „erfreut, wieder sprechen zu können“.

Ihr Zustand verschlechterte sich über die Jahre, sie stumpfte zusehends ab und war „zu keiner Arbeit zu bewegen“. Man stellte sie immer wieder ruhig, sie erlitt Knochenbrüche und erkrankte an Gelbsucht. Am 1. September 1939 wurde sie in die Anstalt Weilmünster aufgenommen. Dort besserte sich ihr Zustand, sie wirkte „ruhig, äußerlich geordnet, gleichmäßig in ihrer Stimmung, hilft fleißig mit im Haus, hält sich sauber.“

Am 31. Oktober 1939 wurde sie in die Anstalt Merxhausen verlegt, wo sich ihr Zustand wieder auffällig verschlechterte: „Sie halluziniert, ist zu keiner geregelten Arbeit zu bewegen.“ Am 15. Mai 1941 vermerkte ihre Krankenakte: „Hilft etwas im Haus, trägt Geschirr, wischt auf.“

So weit die Beschreibung von Rahms Krankengeschichte in Zitaten aus den Krankenakten der Nazi-Zeit. Am 30. Mai 1941 wurde Rahm in die Anstalt Herborn verlegt, eine sogenannte „Zwischenanstalt“ für die Tötungsanstalt Hadamar. Dort endet ihre Krankheitsakte. Von Herborn gelangte Rahm in einem Transport mit 49 weiteren Patienten am 20. Juni 1941 nach Hadamar.

Die Patienten eines solchen Transports wurden in der Regel noch am Tag der Ankunft in die Gaskammer im Keller der Anstalt geschickt und ermordet. Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten das Vernichtungslager Auschwitz. Dort ermordeten die Nazis mehr als eine Million Menschen. Seit 1996 gedenkt Deutschland am 27. Januar offiziell aller Opfer der NS-Terrors.

 Aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt der Nazis in Merzig wurden am 1. September 1939 alle Patienten evakuiert. Viele von ihnen wurden  nach Hadamar geschickt, wo sie  vergast wurden.  

Aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt der Nazis in Merzig wurden am 1. September 1939 alle Patienten evakuiert. Viele von ihnen wurden nach Hadamar geschickt, wo sie vergast wurden.  

Foto: Monika Jungfleisch

In diesem Jahr hat der Landtag des Saarlandes in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Saarländischen Psychiatrie-Stiftung Merzig die Patientenmorde der Nazis im Rahmen des „Euthanasie“-Programms in den Mittelpunkt einer Online-Gedenkveranstaltung gerückt.

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