Kolumne Wohnung frei in der Insekten-Plattenbausiedlung

Insektenhotels dürften mittlerweile jedem bekannt sein, diese mit Liebe gestalteten Unterkünfte aus Stroh und aufgebohrtem Holz als Winterquartier für Familie Ohrwurm und Co. Wohnungsmangel? Zuweilen. In Saarbrücken aber nicht.

Saarbrücker Wildbienen kennen keinen Wohnungsmangel
Foto: SZ/Robby Lorenz

Schnecken haben es gut. Die Wohnwagen unter den Kleinsttieren. Anhalten, Fühler einziehen und aufs Ohr hauen. Gute Nacht.

Andere haben es da schon schwerer. Florfliegen, Ohrwürmer, Wildbienen und eine ganze Sammlung anderer Insekten müssen auf Reisen in Hotels absteigen. Aber das stimmt ja nicht, ich weiß, der Begriff ist ein wenig irreführend. Diese Insektenhotels, Lieblingsprojekte von Ferien-Kindernaturbastelstunden, dienen den Tierchen als permanente Unterkunft und Winterdomizil. Schön idyllisch gelegen oder als ökologisches Alibi in besonders grauen Betonwelten sind sie umsummt und bebrummt. Bei uns Menschen würde der Mietpreis entscheiden, bei den Insekten dürfte es der Zufall sein, da, wo man eben gerade vorbeifliegt und einen die Sesshaftigkeit überkommt. Uns kosten diese Hotels in einer ungeahnten Riesenhaftigkeit online bis weit über hundert Euro – oder ein wenig Mühe mit Bohrer, Ästchen und Stroh und gefundenen Holzklötzen, die aufgebohrt und in Giebeldachhausform zusammengebunden an ein kleines Wirtshaus erinnern. Beobachtungen verraten: Beide sind gut belegt.

 Die „Insekten-Hotelburg“ in der St. Johanner Straße.

Die „Insekten-Hotelburg“ in der St. Johanner Straße.

Foto: Alexander Manderscheid

Doch ganz so wahllos scheint die Zielgruppe nicht zu sein. In Saarbrücken gibt es eine wahre Insekten-Plattenbausiedlung, das Berlin-Marzahn der Wildbienen. Bestimmt kein Marienkäfer-Siedlungsprojekt von OB Britz, aber so passend: Die St. Johanner Straße als Unterfahrt unter dem Vorplatz des Hauptbahnhofs hindurch kleiden gleichförmige Bausteine mit akkurat angeordneten Löchern. Übermannshoch, einen ordentlichen Feierabendstau lang. Tausende von Wohnungen mit Kinderzimmern für die Brut. Eine ist tatsächlich bewohnt, ihr Eingang mit Wespenpapier verklebt, ohne „brssssssemm“-tende Nachbarn zur Schlafenszeit hinter den dünnen Wänden, denn der Rest ist verwaist, nach der Freigabe nie bezogen. Ein Wohnungsüberschuss – so was hört man ja selten. Abgase und eine Aussicht auf vorbeifahrende Durchschnittsstadtgeländewagen, die nächste Blumenwiese, der Arbeitsplatz, ganz weit entfernt. Internet gibt‘s wahrscheinlich auch nicht. Nun ja, auch Wildbienen und Ohrwürmer scheinen ihre Ansprüche zu haben.

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