„Zu viele Zwangs-Halbtagsschulen“

Saarbrücken · Saar-Schulminister Ulrich Commerçon (SPD) ist in Sachen Erhalt des G 8-Abiturs ein Verfechter des „Schulfriedens“. Doch für den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz zeigt er Kante gegen die CDU.

 Ein Rechtsanspruch auf Ganztagsunterricht: Realistische Forderung oder nur „Wahlkampfgetöse“? Foto: dpa

Ein Rechtsanspruch auf Ganztagsunterricht: Realistische Forderung oder nur „Wahlkampfgetöse“? Foto: dpa

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Ursula Seelmann, Chefin des Arbeitskreises der Schulleitungen der acht weiterführenden Gemeinschaftsschulen (ASGG), die echte Ganztagsschulen im Saarland sind, hat es gestern auf den Punkt gebracht. "Viele Kinder aus Haushalten, in denen beide Eltern arbeiten, besuchen jetzt Ganztags-Kitas und dann Ganztags-Grundschulen. Die Eltern haben dann die gleiche Erwartungshaltung an die weiterführenden Schulen, ein echtes Ganztagsangebot zu machen", sagte Seelmann gestern beim ersten "Tag der Gebundenen Ganztagsschulen " in der Gemeinschaftsschule Bellevue in Saarbrücken .

Doch diese Eltern finden eben im Saarland bisher nur acht Gemeinschaftsschulen vor, die ein echtes Ganztagschulangebot bieten, von 8 bis 16 Uhr, mit einer mindestens 45-minütigen Mittagspause und gemeinsamem Essen, einem kompletten Bildungsangebot durch Lehrer - und das ganz kostenlos. Darin unterscheiden sich diese echten, im Fachchinesisch der Kultusministerkonferenz "gebundene Ganztagsschulen " genannten von freiwilligen Ganztagsschulen , die oft nur eine Hausaufgabenbetreuung durch Fremdpersonal oder Spielgruppen bieten.

Saar-Schulminister Ulrich Commerçon (SPD ), der in seiner Amtszeit in der CDU /SPD-Koalition die im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2012 versprochenen 25 echten Ganztagschulen verfehlte - bisher gibt es 17 und neun Schulen mit wenigen Ganztagsklassen -, zeigte sich in seinem Grußwort dennoch optimistisch. Immerhin kämen bereits 5400 Schüler in den Genuss echter Ganztagsangebote.

"Ich stelle fest, dass wir in diesem Land immer noch viel zu viele Stellen haben, an denen wir es mit Zwangs-Halbtagsschulen zu tun haben", erklärte Commerçon. Und drehte damit den Vorwurf, der auch von CDU-Seite erhoben worden war, um, bei echten Ganztagsschulen handele es sich um "Zwangs-Ganztagschulen".

"Wir werden hier in diesem Land in der nächsten Legislaturperiode einen Rechtsanspruch auf Ganztagsunterricht brauchen", betonte Commerçon erneut. Sein grüner Amtsvorgänger Klaus Kessler hatte diese Forderung kürzlich als "Wahlkampfgetöse" abgetan, da das Saarland finanziell gar nicht in der Lage sei, diesen Anspruch auch umzusetzen.

Der als Experte von der Züricher Uni geladene Professor Jürgen Oelkers verwies auf die Vorteile der echten Ganztagsschulen . In jüngsten Studien habe sich erwiesen, dass sich im Ganztag das Sozialverhalten, die Schulfreude und die Schulnoten verbesserten. Auch die deutsche Wirtschaft fordert inzwischen vehement den Ausbau von Ganztagsschulen . Oelkers sagte zu den Halbtagsschulen, das sind etwa alle Gymnasien im Saarland: "Die haben ein großes Problem: Sie haben zu wenig Zeit. Deshalb wird das Pensum auf die Hausaufgaben ausgelagert."

Der Vorsitzende des Saar-Landkreistags, der Saarlouiser Landrat Patrik Lauer (SPD ), stieß sich am Namen "gebundene Ganztagsschulen ". "Gebunden, das klingt unfrei. Da brauchen wir einen Ideenwettbewerb", sagte Lauer. Das wesentliche Plus der gebundenen echten Ganztagsschulen sei die Kostenfreiheit für die Eltern , betonte der Landrat. Lauer kritisierte die Kommunalaufsicht des CDU-Innenministers Klaus Bouillon , die mit Blick auf die Schuldenbremse verhindere, dass die Gemeinden in neue echte Ganztagsschulen investierten. "Die Kommunalaufsicht hält sich nicht an Ausnahmeregeln", sagte Lauer.

Zudem würden die 70 Millionen Euro, die vom Bund für die Bildung im Saarland bereitgestellt würden, wenig bewirken. "Ich habe alleine im Kreis Saarlouis 28 weiterführende Schulen", sagte Lauer. Da löse der Bundeszuschuss "keine Probleme". Dabei werde der echte Ganztag angenommen. In Dillingen habe man die Ganztagsgemeinschaftsschule wegen der Nachfrage von vier- auf fünfzügig ausbauen können.

Meinung:

Wahlkampf erreicht Schulen

Von SZ-Redakteur Dietmar Klostermann

Von einem langweiligen Landtagswahlkampf kann keine Rede mehr sein: Windkraft, abgeschaltete Kohlekraftwerke, ansteigendes Grubenwasser erhitzen die Gemüter. Jetzt reden Schulminister Commerçon und Landrat Lauer (beide SPD ) in der Debatte um die Förderung der echten Ganztagsschulen Tacheles - und zielen auf den Koalitionspartner CDU . Denn die Vorteile der echten Ganztagsschulen liegen auf der Hand, immer mehr Eltern fordern dieses zukunftsweisende Schulkonzept. Wer sich einmal das bestechende Angebot etwa der Max-von-der-Grün-Ganztags-Gemeinschaftsschule Merchweiler ansieht, kommt zu dem Schluss: Die Halbtags-Gymnasien müssen sich warm anziehen. Vielleicht ist der Schutz der Gymnasien vor einer unliebsamen Konkurrenz ja auch ein Grund, warum die CDU auf der Bremse steht.

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