Zu viele Vorschriften, zu wenig LeidenschaftKlettern trotz Querschnittlähmung

Saarbrücken. Um Behinderten den Alltag in Saarbrücken möglichst rasch zu erleichtern, sollten öffentliche Gebäude und Einrichtungen im Einzelfall auch ohne strenge Befolgung von Vorschriften umgestaltet werden können

Saarbrücken. Um Behinderten den Alltag in Saarbrücken möglichst rasch zu erleichtern, sollten öffentliche Gebäude und Einrichtungen im Einzelfall auch ohne strenge Befolgung von Vorschriften umgestaltet werden können. Bei einer vom Journalisten Dominique Rossi lebendig geleiteten Diskussion zum Thema "behindertengerechtes Saarbrücken" auf Einladung der FDP-Stadtratsfraktion äußerte Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer Sympathie dafür, "die Dinge einfach zu machen, auch ohne Din-Norm". Als Beispiel nannte sie das Totobad, wo Rollstuhlfahrern der Zugang zu den Becken ermöglicht wurde, indem die Gärtner einfach Schneisen in die Hecken schlugen.Die ehrenamtliche Saarbrücker Behindertenbeauftragte Dunja Fuhrmann bemängelte, dass im Baurecht "zu viele Vorschriften Verbesserungen zunichte machen". So könnten Gastronomen nicht einfach aus zwei Toiletten eine behindertengerechte machen, weil eine Gesamtzahl an Kabinen vorgeschrieben sei. "Es bleibt schwer, am St. Johanner Markt und am Staden ein Bier zu trinken und auf die Toilette zu gehen", lautete ihr ernüchtertes Fazit nach 16 Jahren als Rollstuhlfahrerin in Saarbrücken.

Karsten Krämer, sozialpolitischer Sprecher der FDP im Stadtrat, widersprach der Ansicht, wonach es unwirtschaftlich sei, für Barrierefreiheit zu sorgen. Da jeder achte Saarländer behindert sei, Tendenz steigend, warte unternehmerischer Erfolg gerade dort, wo die Geschäftsführer die Belange von Behinderten berücksichtigten. Fraktionsvorsitzender Friedhelm Fiedler befand, dass die Landeshauptstadt bei der Behindertenfreundlichkeit "mächtig aufholen" müsse und bei öffentlichen Bauten Vorbildfunktion habe. Das Argument, es sei kein Geld da, wolle er "nie mehr hören". Zuhörer Gerald Zieder, der sich seit Jahrzehnten für die Belange von Behinderten einsetzt, nannte die Saarbrücker Verhältnisse "diskriminierend". Beispiel Deutsch-Französischer Garten: "schweineteure Zäune, aber keine Behindertentoilette". Völklingen dagegen habe bereits alle seine öffentlichen Gebäude hindernisfrei umgebaut. Dort würden nämlich die Behindertenbeauftragten ernst genommen, und die Verwaltung sei gewitzt im Ausnutzen von Fördergeld, um die Arbeiten bezahlen zu können.

Michael Schley vom Sozialministerium kündigte für das Land an, das Thema "mit Leidenschaft und Augenmaß" anzugehen. Professor Reiner Feth, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Rheinland-Pfalz/Saar, wurde nicht müde zu erklären, wie Behindertengerechtigkeit Raum greife: Man müsse sich Gedanken darum machen, bei allem, was man vorhabe. Dazu müsse auch Leidenschaft kommen. Es sollte jedem ein Herzensanliegen sein, Gehandicapte ins Leben einzubeziehen. Das sei, befand Feth, eine "wahnsinnige Herausforderung". 50 Zuhörer waren in den Rathausfestsaal gekommen. Zwei Gebärdendolmetscherinnen halfen den Hörgeschädigten beim Verstehen. Saarbrücken. Eine schier unglaubliche sportliche Leistung vollbringt die Saarbrücker Behindertenbeauftragte Dunja Fuhrmann beim Klettern. Trotz ihrer Querschnittlähmung erklimmt sie in einer Saarbrücker Kletterhalle (und demnächst wohl auch draußen) Felswände der gehobenen Kategorien. Sie arbeitet sich mit den Armen und Händen nach oben und zieht die Beine schrittweise nach, um sie in die Felsvorsprünge zu stellen. Dann hat sie wieder Halt, um mit den Händen nach oben zu arbeiten. Die Klettertechnik, die sie sich selbst erarbeitet hat, funktioniert nicht mit den üblichen Utensilien der Alpinisten. Dunja Fuhrmann hat sich im Fachgeschäft für Tierbedarf Hundegeschirr gekauft, das sie unter dem Knie und am Oberschenkel festmacht. Durch Hundeleinen und Schlüsselbänder verbindet sie diese Halsbänder mit ihren Händen und kann die Beine nachziehen.

Dunja Fuhrmann hat sich mit einem Video, das sie beim Klettern zeigt, am Wettbewerb einer Versicherung beteiligt und träumt davon, dank ihrer Leistung eine Reise nach Kreta zu gewinnen. Wer sie dabei unterstützen will, kann im Internet abstimmen: sports.zurich.de/sportsmoments/video-momente. wp

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