Wohnzimmer statt Wartezimmer?

Saarbrücken · Vor der Behandlung via Internet müssen sich Patienten zuerst dem Arzt persönlich vorstellen. Dies will die Techniker Krankenkasse ändern, die Ärztekammer protestiert. Doch bis die Online-Sprechstunde kommt, müssen noch andere Hindernisse fallen.

 Medizinische Daten wie etwa der Blutdruck können per Smartphone an die Arztpraxis geschickt werden – und so die Arbeit von Ärzten erleichtern. Foto: dpa/Gabbert

Medizinische Daten wie etwa der Blutdruck können per Smartphone an die Arztpraxis geschickt werden – und so die Arbeit von Ärzten erleichtern. Foto: dpa/Gabbert

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Immer ist besetzt oder die Musik in der Warteschleife dudelt minutenlang vor sich hin: Einen Termin beim Arzt zu vereinbaren, gleicht oft einer Geduldsprobe. Das muss doch besser gehen, dachte sich vor etwa einem Jahr das Team der hausärztlichen Gemeinschaftspraxis Dr. Feidt, Dr. Lenthe und Kollegen mit Praxen in Freisen und Oberkirchen. Seitdem bieten sie eine Online-Terminvergabe an. Pro Tag kämen bislang etwa drei Online-Anfragen, vorwiegend von jüngeren Patienten. "Es ist ein Anfang, aber wir denken, es ist die Zukunft", sagt Diabetesberaterin Eva-Maria Feidt.

Online-Termine zu vergeben, ist nur eine Möglichkeit der Digitalisierung im Gesundheitswesen. "Deutschland ist hier noch ein Entwicklungsland", sagt der Leiter der Landesvertretung Saarland der Techniker Krankenkasse (TK), Jörn Simon. Jeder zweite Patient wünsche sich einen Online-Kontakt zu seinem Arzt, so ein Ergebnis des TK-Trendmonitors 2015. Mit der Digitalisierung lasse sich im Gesundheitswesen Bürokratie abbauen, sie könne die Folgen einer älter werdenden Gesellschaft sowie den drohenden Ärztemangel abmildern, sagt Simon. Auch die Versorgung auf dem Land könne verbessert werden, etwa mit der Online-Sprechstunde. Langes Warten in der Praxis könne so vermieden werden.

"Gemeinsam mit dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen testen wir die Online-Videosprechstunde, die nach einem Pilotprojekt in Hamburg nun auf ganz Deutschland ausgedehnt wurde", sagt Simon. Er wünscht sich, dass auch saarländische Hautärzte mitmachen. Doch bevor eine Video-Sprechstunde möglich ist, müsse sich der Patient zunächst einmal persönlich dem Arzt vorgestellt haben. Der TK-Leiter spricht sich dafür aus, den gesetzlich vorgeschriebenen Erstkontakt abzuschaffen: "Ein Arzt kann doch auch in der Online-Sprechstunde dem Patienten sagen, wenn er ihn lieber in der Praxis untersuchen möchte." Eine Forderung, die die saarländische Ärztekammer strikt ablehnt. "Das werden wir auf gar keinen Fall machen", stellt Kammerpräsident Josef Mischo klar, "erst die persönliche Begegnung bietet ein Gesamtbild des Patienten und hilft bei der Diagnostik." Bei zuverlässigen Patienten könne jedoch die Folgebehandlung via Video-Sprechstunde eine Option sein.

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zeigt sich hingegen offen für die Abschaffung des verpflichtenden Erstkontakts, sieht aber praktische Hindernisse: "Wir begrüßen die Forderung, sehen aber nicht, wie dann die Versichertenkarte eingelesen werden kann, was zwingend vorgeschrieben ist." Damit eine Online-Sprechstunde überhaupt stattfinden könne, fehle derzeit noch die Gebührenordnungsposition. Doch im Prinzip sei sie ein "geeignetes Mittel der Kommunikation", wenn der Arzt sich so einen Hausbesuch erspare, aber: "In der Praxis während der normalen Sprechstunde hilft sie dem Arzt nicht. Wenn der Arzt dadurch auch nachts und am Wochenende Sprechstunde machen soll, entwickelt es sich zu einer unzumutbaren Belastung." Diese Form der Behandlung stoße auch an Grenzen: Mit einem Bild vom Smartphone sei etwa die Beurteilung eines Hautflecks nicht getan, der Arzt müsse tasten, ob der Fleck harmlos ist oder vielleicht Hautkrebs sein könnte.

Hoch im Kurs stehen bei der Telemedizin die Gesundheits-Apps auf dem Smartphone. Patienten können mit ihnen Blutzuckerwerte messen und ein Diabetes-Tagebuch führen, ihren Tinnitus bekämpfen oder bei einer Parkinson-Erkrankung die Stärke des Tremors messen - und die Daten bequem ihrem Arzt übermitteln. Als ein weiteres Angebot der Krankenkasse nennt Simon die Online-Therapie für Stotterer. Hier sei für Betroffene die Hemmschwelle niedriger, sich Hilfe zu suchen.

Diese Apps könnten hilfreich sein und die Arbeit erleichtern, findet auch Mischo, doch müsse bei der Masse von zirka 150 000 sorgfältig auf die Qualität und den Datenschutz geachtet werden. Auch die KV plädiert für maßvolle Regelungen beim Datenschutz. Doch derzeit sei die Telematik nur sehr schwer umsetzbar und bedeute für die Praxen erhebliche Kosten.

In der Freisener Praxis schätzt man die Digitalisierung . Diabetes-Patienten brächten ihre Werte dank der App häufig als Tabellen und Diagramme mit - eine Erleichterung zu Notizbüchern aus Papier. Auch Mischo, selbst Unfallchirurg, sieht die Technik auf dem Vormarsch: "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Arzt mit dem iPad zur Visite kommt."

Zum Thema:

Hintergrund Seit 1. Januar ist das E-Health-Gesetz in Kraft. Bis Ende 2018 sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Notfalldaten oder der Medikationsplan in einer elektronischen Patientenakte bereitgestellt werden. Patienten können so den jeweiligen Behandler über die Daten informieren - Doppeluntersuchungen würden so vermieden. Auch sollen Patienten einen Anspruch darauf erhalten, dass ihre auf der Gesundheitskarte gespeicherten Daten in ein elektronisches Patientenfach aufgenommen werden. In dieses Patientenfach können sie auch Daten, die sie mit Fitness-Apps generiert haben, legen. Die TK plädiert dafür, dass die Krankenkassen ihren Versicherten ein solches Fach zur Verfügung stellen müssen. Ob die Kasse reinschauen darf, entscheide der Patient. ukl

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