Wohlfahrtsverbände verteilen sozialpolitische Dauerbrenner

Saarbrücken · Die Liga will die Landtagsabgeordneten mit Wahlprüfsteinen versorgen. Kita-Qualität, Behinderten- und Flüchtlingsarbeit stehen dabei im Vordergrund.

Es herrscht Tristesse zwischen den Mietskasernen auf dem Saarbrücker Wackenberg, der dauernde Nieselregen ist nicht dazu angetan, die trübe Stimmung zu heben. Doch im ehemalige preußischen Schulhaus, das jetzt das Heim des Vereins Pädagogisch-Soziale Aktionsgemeinschaft (Pädsak) ist, herrscht Betriebsamkeit. "In der Küche werden täglich etwa 100 Essen für Bedürftige aus der Nachbarschaft gekocht", sagt Eva Jung-Neumann von der Pädsak. Auf die SZ-Frage, was es denn heute auf die Teller gibt, ruft eine Küchen-Mitarbeiterin, die gerade an einer Pfanne hantiert, zurück: "Cordon bleu und Kartoffel-Gratin". Zehn Langzeitarbeitslose, zum Teil aus dem Wackenberg-Viertel in St. Arnual, arbeiten in der Küche, erklärt Jung-Neumann. "Doch die Maßnahme ist nur für ein halbes Jahr finanziert", fügt die Sozialarbeiterin hinzu. Ihr Pädsak-Kollege Reinhard Schmid betont, dass auf dem Wackenberg jedes zweite Kind von Hartz IV leben müsse. "Die Arbeitslosenquote beträgt hier 15,9 Prozent, da sind die in öffentlichen Arbeitsmaßnahmen untergebrachten Menschen rausgerechnet", sagt Schmid.

Im Essensraum des Pädsak hat sich an diesem Dienstagmorgen die Führungsspitze der Liga der freien Wohlfahrtspflege Saar zusammengefunden (Mitgliedsverbände siehe Infokasten). Michael Hamm, der Liga-Chef vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, seine Stellvertreterin Ines Reimann-Matheis von der Arbeiterwohlfahrt (Awo Saar) und Sabine Schmitt (Parität und Liga-Vorstandsmitglied) hätten sich kaum einen besseren Ort aussuchen können, um ihre "Wahlprüfsteine zur Landtagswahl 2017" vorzustellen. Hier auf dem Wackenberg ist die soziale Schieflage des Saarlandes mit Händen greifbar. "Es war eine bewusste und wichtige Entscheidung, erstmals Wahlprüfsteine zu formulieren", sagt Hamm vor einer Handvoll Journalisten. Die kleine quadratische Broschüre mit den Wahlprüfsteinen solle in den kommenden Tagen in Kitas und Senioreneinrichtungen verteilt werden. "Das ist eine Hilfestellung für Bürger, eigene Fragen an die Politiker zu stellen", betont Hamm. Auch die Landtagsabgeordneten und die Minister würden mit der Publikation versorgt. "Die Themen sind sozialpolitische Dauerbrenner", erklärt Hamm strahlend. Seine Kollegin Schmitt merkt dazu an, dass man nun eine Gesprächsgrundlage für Problemlagen im Land habe. "Wo wird Armut im Saarland deutlich?", so Schmitt.

Die dicksten Brocken unter den "Wahlprüfsteinen" der Wohlfahrts-Liga sind laut Hamm die Steigerung der Qualität in den Kitas durch mehr und besser qualifiziertes Personal. Zudem die Hilfe für Behinderte, in den Genuss der Vorzüge des Bundesteilhabegesetzes zu kommen. "Die Integration von Flüchtlingen funktioniert im Saarland gut. Doch momentan beherrschen leider nur die Themen Abschiebung und Grenzsicherung die politische Tagesordnung", beklagt Hamm. Awo-Geschäftsführerin Reimann-Matheis kritisiert, dass die Politik die "Personalschlüssel" in den Kitas nicht im Blick habe. Da würden noch die Vorgaben aus den 1970er Jahren befolgt, als die Kitas nur im Halbtagsbetrieb liefen. "Jetzt sind die Kitas zehn und mehr Stunden geöffnet. Die Erzieherinnen haben daher einen ganz anderen Erziehungs- und Bildungsauftrag", so Reimann-Matheis. Mit ihren Forderungen sei die Liga allerdings noch nicht durchgedrungen auf der politischen Ebene.

Auf die SZ-Frage, ob sich die Liga nicht als Reparatur-Betrieb für sozialpolitische Fehlentscheidungen der großen Koalitionen auf Bundes- und Landesebene empfinde und sie ihre Kritik nur vorsichtig anbringen könne, weil die Politiker von CDU und SPD auch in den Entscheidungsgremien der Wohlfahrtsverbände sitzen, sagt Liga-Chef Hamm: "Dass wir ein Reparaturbetrieb sind, stimmt. Aber wir sind noch viel mehr. Die Kitas und Behindertenwerkstätten sind Zukunftsbetriebe." Die Liga müsse bei der Politik "dicke Bretter bohren". Er hofft, dass die Prüfstein-Broschüre nach der Wahl nicht in der Altpapiertonne landet. "Denn schließlich klagen wir niemanden an, sondern wollen in einen konstruktiven Dialog eintreten", erklärt Hamm. 20 Jahre nach Gründung der saarländischen Armutskonferenz sei "nichts besser geworden". "Wir haben zwar eine sehr gut wirtschaftliche Entwicklung. Aber der Abstand zur sozialen Entwicklung wird immer größer", so der Parität-Geschäftsführer.

Zum Thema:

Die Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege Saar setzt sich zusammen aus der Arbeiterwohlfahrt, dem Diakonischen Werk, dem Caritasverband, dem Roten Kreuz, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und der Synagogengemeinde Saar.

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