„Wir sind hier zu klein für Ego-Trips“

Saarbrücken · Seit knapp zwei Jahren ist Hans Martin Derow künstlerischer Leiter des Kulturzentrums Breite 63 in Malstatt. Seither entwickelt er die Breite allmählich zum Mekka für Folk- und Weltmusik, ohne die soziokulturellen Aspekte zu vernachlässigen.

 La Godinette sorgen beim Folk- und Bluesfestival im November für bretonische Klänge. Foto: tvb

La Godinette sorgen beim Folk- und Bluesfestival im November für bretonische Klänge. Foto: tvb

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Manchmal dauern die Arbeitstage von Hans Martin Derow sehr lang. "Beim Festival sind es schon mal 22 Stunden." Dann ist der künstlerische Leiter des Kulturzentrums Breite 63 in Malstatt nämlich bis spät in die Nacht beschäftigt. Aber er kann am nächsten Tag nicht bis in die Puppen schlafen. "Wenn die Bauleiter morgens um sieben warten, muss ich da hin", erzählt er. Denn Derow macht die Kulturarbeit in der Breite 63 - ebenso wie sein Compagnon und organisatorischer Leiter Armin Beyer - nur als Drittel-Stelle. Zusätzlich zu seinem Job als Abteilungsleiter beim städtischen Berufsbildungszentrum ZBB.

Viel Zeit hatte Derow vor zweieinhalb Jahren nicht, sich zu überlegen, ob er sich neben seinem Full-Time-Job auch noch als Kulturveranstalter versuchen wollte. "Ich wurde im Februar gefragt und hatte dann zwei Monate Zeit." Im April übernahm er offiziell den Stab. Die langjährige Leiterin der Breite 63, Gisela Bahr, ging in Rente. Und Hans Martin Derow formt seither ganz vorsichtig ein anderes Profil für die Breite.

Wer das Programm aufmerksam liest, entdeckt viel Folkmusik und einige Weltmusik . Manchmal sogar überraschend prominente Namen. Mayito Rivera war schon da, und im Oktober kommen die Soneros de Verdad aus Kuba. Und das, obwohl die Weltmusik seit Jahren im Saarland kaum noch gastiert, "weil sich auch hier die wirtschaftliche Situation im Saarland bemerkbar macht", meint Derow. "Agenturen haben es immer schwerer, hier große Acts unterzubringen."

Wie kommt man dann trotzdem mal an solche großen Namen? "Unsere Lage im Dreiländer-Eck ist da gut", sagt Derow. Künstler, die ihre Tourneen planen, suchen oft nach Fülltagen. Und da bietet sich Saarbrücken als Zwischenstation zwischen größeren Konzerten an "Wir haben ein tolles Haus, ein tolles Publikum", meint Derow.

Aber nur deswegen klopfen natürlich solche Gruppen nicht einfach bei der Breite 63 an. Man muss schon die Agenturen kennen, Kontakte in die Szene haben. Und da kommt nun Hans Martin Derows drittes Standbein ins Spiel: Wie die meisten Folk-begeisterten Saarländer wahrscheinlich wissen, ist Derow auch noch Mitglied von An Erminig, dem besten und ältesten bretonischen Ensemble an der Saar. Seit 40 Jahren gibt es sie schon. Da kommt viel an Lebenserfahrung zusammen und jede Menge Kontakte - von denen nun wieder die Breite profitiert. "Wenn ich heute zur Kulturbörse nach Freiburg fahre, und die Leute fragen: Suchst du Konzerte für deine Gruppe?, sag ich: Nee, ich bin jetzt auch auf der anderen Seite."

So profitiert eines vom anderen, wird alles vernetzt. Überhaupt ist Vernetzen eines der Lieblingsworte von Derow im Redaktionsgespräch. "Vernetzung ist wichtig", sagt der 59-Jährige. "Wir sind als Region zu klein, um uns Ego-Trips leisten zu können." Und der ausgebildete Landschaftsgärtnermeister betreibt diese Strippenzieherei offensichtlich weiträumig. Nicht nur innerhalb der Stadt Saarbrücken , die "einen großen Fundus bietet an kompetenten Partnern, mit denen man kooperieren kann". Er wirft sein Netz auch über die Grenze - zum Beispiel nach Saargemünd, wo er mit dem Kultur-Urgestein Hervé Atamaniouk arbeitet und so einen Ableger des Festivals "Mir redde Platt" nach Malstatt holt. Sogar bis nach Sizilien reichen die Fäden des Netzes. Ein Konzert mit dem sizilianischen Quartett Vucciria im Januar etwa strickte man im Rahmen der Partnerschaft der sizilianischen Provinz Agrigent mit dem Regionalverband Saarbrücken . Und es wurde ein unvergesslicher Abend, erzählt Derow. "Am Ende gingen die Musiker ins Publikum, und die Zuschauer sangen selbst."

Ein weiteres Netz hat er nach dem Verein Jazz-Syndikat ausgeworfen. Das Jazz-Festival ist im Oktober mit zwei Sinti-Jazz-Abenden zu Gast. Und natürlich hat er jede Menge Netze Richtung Nantes ausgeworfen - wo er im Rahmen des Jubiläums der Städtepartnerschaft so manchen dicken Fisch für sein Blues- und Folkfestival Mitte November an Land gezogen hat. Stück für Stück formt Derow so die Breite 63 zum Schwerpunkt-Ort für Weltmusik und Folk - und verstärkt zugleich das Label soziokulturelles Zentrum. Denn die Breite 63soll ja auch ein Ort sein, an dem sich die Menschen aus Malstatt und darüber hinaus zuhause fühlen. So sind zum Beispiel die vielen Tanz- und Musikangebote für Senioren "ein ganz wichtiger Punkt". Und weiterhin haben Ensembles wie der Frauenchor Constanze oder die Frauentheatergruppe elleganz hier ihr Zuhause. Die soziokulturelle Arbeit läuft so gut, dass die Breite sogar als einziger Ort im Saarland Mitglied wurde in der Bundesvereinigung soziokultureller Zentren.

Wer im aktuellen Saison-Programm blättert, findet eine Vielzahl von reizvollen Konzerten mit großen Namen, dazu Tanzabende, Kabarett- und Theaterauftritte regionaler Größen und neuerdings auch noch offene Abende, an denen man zu bretonischer Musik tanzen (lernen) kann. Zwischen acht und 14 Termine listet das Programm jeden Monat auf.

Der Etat für das Kulturprogramm? Ganze 10 000 Euro. Davon werden auch noch die Werbung und das Programmheft finanziert. "Bei Festivals gehe ich betteln", sagt Derow und bleibt erstaunlich gelassen. "Wenn eine Stadt 1,2 Milliarden Schulden schultern muss und sich trotzdem noch 10 000 Euro aus den Rippen schwitzt, dann kann ich nicht meckern." Die ideelle Rückendeckung sei auch wichtig. Und die sei hundertprozentig da.

 Stars aus Kuba: Die Soneros de Verdad bezeichnen sich selbst als zweite Generation des Buena Vista Social Clubs. Foto: Sdv

Stars aus Kuba: Die Soneros de Verdad bezeichnen sich selbst als zweite Generation des Buena Vista Social Clubs. Foto: Sdv

Foto: Sdv
 Dikanda, mitreißende Frauenband aus Stettin, kommt im Oktober in die Breite 63 nach Malstatt. Foto: Dikanda

Dikanda, mitreißende Frauenband aus Stettin, kommt im Oktober in die Breite 63 nach Malstatt. Foto: Dikanda

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Auf einen BlickAm Freitag, 18. September, beginnt der Kultur-Herbst in der Breite 63 mit einem Gastspiel des Kabarett-Urgesteins Jürgen Albers. Das Blues- und Folkfestival bringt am Freitag und Samstag, 13. und 14. November, lauter Gruppen aus Nantes. Angekündigt haben sich das Yann Klem Quartet, Mr. Bo Weavil mit seiner Crossover Blues Show, die Gruppe La Godinette und Rozenn Talec & Yannig Nouguet. Beim Jazzfestival gastieren am Freitag, 9. Oktober, Vano Bamberger und Band und am Samstag, 10. Oktober das Siergiej Wowkotrub Gipsy Jazz Quartet. In der Reihe Acoustic, sind am Samstag, 17. Oktober Intimos mit La Noche del Tango zu Gast und am Mittwoch, 18. November die in Saarbrücken gut bekannte der polnischen Weltmusikgruppe Dikanda. redProgramm unter www.breite63.de oder Tel. (0681) 4 17 08 35.

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