"Wir hier haben Geschichte gemacht"

Spichern. Welche Besonderheiten zeichnen den eigenen Ort aus? Jean Jung, Bürgermeister von Spichern, beginnt im SZ-Redaktionsgespräch die Schilderung seiner Kommune mit einem ungewöhnlichen Aspekt: "22 Prozent der 3300 Einwohner sind Deutsche, also mehr als 600 Menschen

Spichern. Welche Besonderheiten zeichnen den eigenen Ort aus? Jean Jung, Bürgermeister von Spichern, beginnt im SZ-Redaktionsgespräch die Schilderung seiner Kommune mit einem ungewöhnlichen Aspekt: "22 Prozent der 3300 Einwohner sind Deutsche, also mehr als 600 Menschen." Das sei schon lange so, fügt er hinzu, und in den Nachbarkommunen Alsting und Schoeneck sehe das Nationalitäten-Verhältnis ähnlich aus. Dennoch sei der hohe Anteil von Deutschen nicht unumstritten. Die große Nachfrage nach Häusern führe nämlich zu höheren Grundstückspreisen, 15 Prozent teurer als im lothringischen Umland.

Die starke deutsche Bevölkerungsgruppe hat Spichern noch eine Besonderheit beschert: eine zweisprachige Grundschule. In Frankreich, schildert Jung den Hintergrund, ist der Kindergarten Pflicht, genauer: die École maternelle, die Vorschule: "Das haben die Deutschen schnell begriffen und ihre Kinder hingeschickt." Aber danach sollte es eine deutschsprachige Schule sein, jenseits der Grenze - und den Spicherern gerieten die Unterrichts-Einrichtungen aus der Balance. Also hat die Gemeinde investiert. Hat vor drei Jahren eine bikulturelle Grundschule ins Leben gerufen und jetzt auch eine deutschsprachige Erzieherin eingestellt. Heute bleibt der deutsche Nachwuchs im Ort; unter den 40 bis 45 Kindern, die das Angebot der Schulkantine - Ganztagsbetreuung inklusive - nutzen, seien Deutsche mit 80 Prozent sogar in der Mehrheit.

Unterm Strich profitiert Spichern nach Jungs Ansicht von der Grenzlage. Die beschere dem lokalen Handel Umsatz und dem Ort eine gute Infrastruktur. Jung zählt auf: drei Ärzte, bald vier; eine Apotheke, ein Friseur, zwei Bauunternehmen, ein Dachdecker, zwei Heizungsfirmen, eine Baustoffhandlung. Ein Supermarkt an der Goldenen Bremm. Ein zweites Geschäft im "Dorf", im Süden des Ortes, hat die Kommune geschaffen. Sie habe, berichtet Jung, mit öffentlichem Geld das Ladenlokal gebaut und an einen Handels-Filialisten vermietet - "vor allem ältere Menschen aus dem Dorf sind froh, dass sie zum Einkaufen nicht extra an die Bremm müssen."

Spicherer Stärken? Jung überlegt nicht lange. Lebendigkeit, dank der über 20 Vereine: "Fast jedes Wochenende ist was los." Grün, die Kommune hat 180 Hektar Waldfläche, "viele Leute kommen deswegen her". Im Tourismus sieht Jung denn auch Perspektiven für seine Gemeinde. Spichern besitze schließlich einen historischen Ort: Auf den Spicherer Höhen wurde eine wichtige Schlacht des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 ausgetragen. Nur sehe man auf den Höhen bisher nicht viel, da müsse die Kommune mal Geld in die Hand nehmen. Militärtourismus also? "Warum denn nicht?", fragt Jung zurück. Darin stecke für die Kommune Potenzial. Wirtschaftlich. Und mit Blick auf die regionale Identität: "Hier ist Geschichte gemacht worden, daran muss man doch erinnern. Und wir hier an der Grenze sind es, die Geschichte gemacht haben - das haben sie inzwischen auch in Paris begriffen."

Auf einen Blick

Spichern, französisch Spicheren, grenzt im Süden an die Saarbrücker Stadtteile Alt-Saarbrücken und St. Arnual. In der lothringischen Gemeinde leben rund 3300 Menschen; 22 Prozent der Einwohner sind Deutsche. Die Kommune hat eine Fläche von 811 Hektar, 180 Hektar davon sind Wald.

Rund 1,3 Millionen Euro umfasst nach Auskunft von Bürgermeister Jean Jung der kommunale Jahresetat. 400 000 Euro stehen für Investitionen zur Verfügung, der Rest dient zur Deckung fester Kosten. Derzeit hat Spichern ein jährliches Haushaltsdefizit von 220 000 Euro. Es soll bis 2014 abgebaut werden; bis dahin will man keine neuen Schulden machen.

Bekannt ist Spichern vor allem aus der Geschichte: Auf den Spicherer Höhen wurde im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 eine entscheidende Schlacht ausgetragen. dd

Zur Person

Jean Jung, 52, ist seit den französischen Kommunalwahlen vom März 2008 Bürgermeister der lothringischen Grenzgemeinde Spichern. Ursprünglich hat er als Bergmann gearbeitet, zuletzt als Obersteiger; mit der Schließung der lothringischen Kohlegruben trat er, wie viele seiner Kollegen, in den Vorruhestand. Kommunalpolitisch aktiv ist er seit 1995: Da zog er in den Spicherer Gemeinderat ein. Ab 2001 war er dann einer der Spicherer Beigeordneten.

Nach eigener Aussage gehört Jung keiner Partei an, er hat sich als unabhängiger Kandidat zur Wahl gestellt; das, so sagt er, sei in kleinen französischen Kommunen fast durchweg üblich. Seine Arbeit im Rathaus leistet er ehrenamtlich, erhält dafür nur eine Aufwandsentschädigung. Seine Amtszeit als Bürgermeister geht noch bis 2014. dd

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