"Wir greifen so wenig wie möglich in die Natur ein"

Herr Stelzer, was darf der Laie unter naturnaher Waldbewirtschaftung verstehen?Joachim Stelzer: Wesentliche Elemente sind eine kahlschlagfreie Bewirtschaftung, der vollständige Verzicht auf den Einsatz von Chemie im Wald, ein sinnvolles Bodenschon-Programm durch die Erschließung mit Rückegassen im Abstand von 40 Metern, der Vorrang der natürlichen Verjüngung, der konsequente

 "Wir nehmen die Beschwerden der Bürger über Abholzung sehr ernst, sagt Forstdirektor Joachim Stelzer." Foto: Saarforst

"Wir nehmen die Beschwerden der Bürger über Abholzung sehr ernst, sagt Forstdirektor Joachim Stelzer." Foto: Saarforst

Herr Stelzer, was darf der Laie unter naturnaher Waldbewirtschaftung verstehen?

Joachim Stelzer: Wesentliche Elemente sind eine kahlschlagfreie Bewirtschaftung, der vollständige Verzicht auf den Einsatz von Chemie im Wald, ein sinnvolles Bodenschon-Programm durch die Erschließung mit Rückegassen im Abstand von 40 Metern, der Vorrang der natürlichen Verjüngung, der konsequente Umbau von reinen Nadelbaumbeständen, ein umfangreiches Biotop-Holzkonzept sowie die Ausweisung von Naturwaldzellen und Großschutzgebieten als waldwirtschaftliche Schaufenster, wie zum Beispiel hier im Urwald vor den Toren der Stadt.

Vor 30 Jahren galten diese Grundsätze offensichtlich noch nicht?

Stelzer: Stimmt. Es war der damalige Landesforstchef Wilhelm Bode, der 1988 mit dem so genannten Kahlschlags-Erlass die Geburtsstunde der naturnahen Waldwirtschaft eingeläutet hat.

Die Orkane "Vivian" und "Wiebke" im Jahr 1990 und weitere Stürme mit ihren schlimmen Folgen haben diese Entscheidung bestätigt?

Stelzer: Genau. Diese Stürme haben die Schwächen und Fehleinschätzungen der Vergangenheit schonungslos aufgedeckt. Gleichzeitig haben wir Forstleute aus den Fehlern gelernt. So haben wir beispielsweise die natürliche Entwicklung auf den sturmbedingten Kahlflächen sehr genau beobachtet und daraus die Konsequenzen für die Waldbewirtschaftung gezogen..

Haben Sie dafür etwa der Natur das richtige Konzept abgeschaut?

Stelzer: Die kann es bekanntlich besser als wir. Heute arbeiten wir in Anlehnung an die biologische Automation und greifen deutlich weniger in die natürlichen Abläufe ein - bei gleichzeitig größerem Erfolg als in früheren Jahren.

Nicht jeder Bürger wird Ihnen das abnehmen. Davon zeugen doch viele Bürgerbeschwerden, auch bei der SZ, über angeblich "rücksichtslose Kahlschläge"?

Stelzer: Tatsächlich gibt es diese Einschätzung einiger Waldbesucher, die wir auch sehr ernst nehmen. Eine frisch befahrene Rückegasse oder mehrere hundert an den Weg gerückte Baumstämme für Brennholzselbstwerber können bei dem ein oder anderen Waldbesucher diesen Eindruck erwecken. Da ist Protest oft vorprogrammiert. Diese Maßnahmen decken sich aber mit dem von mir beschriebenen Konzept der konsequenten Einzelbaum-Bewirtschaftung, mit dem wir nicht nur gesundes, sondern auch wertvolles Holz erzielen und gleichzeitig die erforderlichen Eingriffe so gering wie möglich halten wollen.

Wie wollen Sie dieses Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Ökologie und öffentlicher Wahrnehmung auflösen?

Stelzer: Durch konsequente Berücksichtigung ökologischer Belange in der Waldbewirtschaftung, aber auch eine konsequente Öffentlichkeitsarbeit und durch Veranstaltungen wie dieser Tagung.

Thema Klimawandel: Wie werden unsere saarländischen Wälder darauf reagieren?

Stelzer: Natürlich bin ich kein Prophet, aber wir sind im Saarland in der glücklichen Lage, dass Wald zu mehr als siebzig Prozent aus Laubbäumen besteht. Unsere Laubbaumarten entsprechen in unserer Region dem, was von Natur aus ohnehin hier wachsen würde, und sie sind deswegen anpassungsfähiger als viele Nadelbaumarten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort