Wilhelm Tell schießt mit der Pistole

Saarbrücken. Wer kennt die Szene nicht: Ein Vater, der, von einem Tyrannen gezwungen, seinem Sohn einen Apfel vom Kopf schießen muss. Diesmal ist es jedoch keine Armbrust, von der ein treffsicherer Schuss ausgeht, sondern eine Pistole

Saarbrücken. Wer kennt die Szene nicht: Ein Vater, der, von einem Tyrannen gezwungen, seinem Sohn einen Apfel vom Kopf schießen muss. Diesmal ist es jedoch keine Armbrust, von der ein treffsicherer Schuss ausgeht, sondern eine Pistole. Nicht das einzige moderne Element in der aktuellen Inszenierung von Schillers "Wilhelm Tell" in der Regie von Tim Stefaniak (Regieassistenz: Christopher Koppermann): So lernt Tells Sohn an der Konsole schießen und die Landleute erfahren die Neuigkeiten des Landes aus der "Bild"-Zeitung. Daneben beschränkt sich das Stück aufs Wesentliche und lässt jeglichen Schnickschnack sein, ein Stuhl ist - neben Apfel und Pistole - einziges Requisit. Thunis, das Theater der Universität des Saarlandes, hat sich in dieser Saison mit Schillers Drama von 1804 keine leichte Aufgabe gestellt. Doch während bei Schiller in dem Stück über den Freiheitskampf des schweizerischen Volkes vor allem die nationalen Fragestellungen im Vordergrund stehen, setzt Stefaniak seine Akzentuierung anders: Das Thema Gewalt steht deutlich im Vordergrund. Der Versuch, aktuelle Bezüge zur Gewaltdebatte über Terroristen und Amokläufer herzustellen, gelingt jedoch nur mäßig; die Parallelen, die gezogen werden, sind eher schwer nachzuvollziehen. Wilhelm Tell (dargestellt von Christopher Koppermann) überzeugt nicht so recht als psychisch labiler, emotionsloser Außenseiter-Typ, der laut Programmheft ein ähnliches Persönlichkeitsprofil wie ein Terrorist oder Amokläufer aufweisen soll. Keine einfache Interpretation des Protagonisten. Anders Katja Straub, die in der Rolle seiner Gattin seinen Gegenpool äußerst emotional und gelungen darstellt. Neben einigen anderen guten Nebendarstellern ist vor allem der Reichsvogt, den Stefaniak selbst verkörpert, herausragend: Als Tyrann lässt er das Publikum die Freude an der reinen Boshaftigkeit förmlich spüren und schafft es sogar, bei seinem Tod einige Lacher zu ernten. Insgesamt trotz des problematischen Aktualisierungsversuchs eine kurzweilige Sache. Nicht nur für Germanistikstudenten sehenswert. Weitere Aufführungen heute, am 5. und am 6. Juni, 19.30 Uhr in der Uni-Aula. Eintritt: 6/5 Euro.www.thunis.de

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