Wieso sollte man Menschen mit Waffen ins Paradies zwingen?

Saarbrücken · 500 Jahre lebten Muslime, Christen, Orthodoxe und Juden in Dzevad Karahasans Heimat Sarajewo miteinander. Bis der Bosnienkrieg dem ein Ende machte. Was sind die Lehren daraus? In einem Saarbrücker Café suchte er Antworten.

Seine Mutter gab ihm als Kind eine hintersinnige Hausfrauenweisheit mit auf den Weg, die für Dzevad Karahasans spätere Poetologie wegweisend werden sollte: Nur was nicht zu sehen sei, gehöre sauber gemacht, das Sichtbare könne ungefegt bleiben. Hinter die Kulissen zu schauen ist wichtiger als auf die Bühne, könnte man den mütterlichen Rat umformulieren. Das beschreibt recht gut Haltung und Denkweise des bosnischen Autors Karahasan, der gestern Abend in der Saarbrücker Buchhandlung St. Johann las.

Sein neuer, dem persischen Astronomen und Dichter Omar Khayyám (1048-1131) gewidmeter Roman "Der Trost des Nachthimmels", der im kommenden Januar bei Suhrkamp erscheinen soll, ist noch nicht übersetzt, weshalb Karahasan aus einem 15 Jahre alten las: "Sara und Serafina". Daran findet sich der alles andere als banale, ja bemerkenswerte Satz "Man darf nicht um der scheinbaren Klarheit willen zu sehr vereinfachen." Die diversen Fundamentalismus-Spielarten (ökonomische, militärische, politische), die der 62-jährige Kapitalismuskritiker Karahasan im Westen ausmacht, werden in seiner Sicht von Schwarz-Weiß-Malerei, autistischer Selbstbezogenheit und (damit verbunden) kultureller Ignoranz genährt. Die aktuelle europäische Politik gründe letztlich auf ähnlichen Prinzipien, wie sie nach dem Auseinanderfallen Jugoslawiens 1992 dem Krieg in Bosnien - Karahasans Heimat - den Boden bereitet hätten. So wie damals Angst und Ressentiments geschürt worden seien und Ausgrenzung gepredigt, wiederhole sich dies in den aktuellen Flüchtlingsdebatten. "Umso mehr bewundere ich Frau Merkel", sagt Karahasan. Ihre Ruhe und Konzentration beeindruckten ihn.

Während syrische Flüchtlinge in der Türkei (1,9 Millionen), im Libanon (1,1 Millionen) und in Jordanien (600 000) vergleichsweise selbstverständlich aufgenommen wurden, fürchte man im EU-Raum mit 500 Millionen Einwohnern eine muslimische Unterwanderung. "Sagt das nicht viel aus über Europa, dass man glaubt, mit ihnen nicht fertig zu werden?" Die politische Litanei von der Bekämpfung der Flüchtlingsursachen mag Karahasan nicht mehr hören. Interventionen des Westens, maßgeblich der USA, hätten vieles erst ausgelöst. "Wieso eigentlich soll man Menschen mit Waffen ins Paradies zwingen?" Die Frage stellte er im Kalten Krieg seinem Vater, einem strammen Kommunisten. Heute richtet Karahasan sie an die Gegenseite. Auch die Historie des Westens kenne autokratische, undemokratische Systeme zuhauf. Heute aber glaube man sich im Namen der Demokratie alles erlauben zu dürfen. "Ich lasse mein Leben aber nicht auf Politik reduzieren", sagt er. Salomonisch lächelnd. Weiß er doch, dass alles mindestens zwei Seiten hat.

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