Wie Kaugummi ins Haar kommt

Gestern Morgen stand ich in Merzig beim Bäcker an. Die Frau vor mir versperrte mit ihrem langen Lockenhaar meine Sicht auf die duftende Auswahl.

Wir Frauen aus dem Norden tragen unser Haar ja gerne seewindtüchtig im Pferdeschwanz, unter einer Mütze oder gleich kurz. Ihres schimmerte wie teure Bitterschokolade, von Scheitel bis Jeansbund. Obwohl… Moment. Volle Kehrtwendung vom Jeansbund zurück zum Nacken. Da hing was in der lockigen Pracht. Ein dicker weißer Fussel. Ich stellte meine morgenmüden Augen auf Zoom. Kein Fussel. Auch kein Stückchen Tempotaschentuch. Geschweige denn eine unschuldige Blüte. Da hing ein Klumpen Kaugummi. Wumms, ich war wach. Und mein Kopfkino auf Senkrechtstart. Hatte sie sich in Bus oder Bahn ahnungslos an die Hinterlassenschaft eines Reiserüpels gelehnt? Hatte jemand sein Backenzahnpflaster aus dem Fenster geworfen und sie das Pech gehabt, in diesem Moment drunter durchzugehen? Oder war es gar teuflische Absicht von neidischen Mädchen mit dünnem, glattem oder kurzem Haar gewesen? Als sie eine knisternde Tüte vom Tresen nahm, sagte ich: "Ähm, Sie haben da was im Haar." Sie griff sich in ihre schokobraune Fülle, fand den Kaugummi, ließ ihn, wo er war, lächelte: "Ach so. Ich hab bei Jonas gepennt", und ging. Ich kaufte ein Croissant und dachte den Rest des Tages darüber nach, ob Jonas so toll ist, dass man neben ihm auch auf einem Kissen voll altem Hubbabubba schlafen würde. Oder ob der seiner Freundin regelmäßig zum Abschied seinen Kaugummi in die Frisur spuckt. Uns norddeutschen Sturmfrisuren wäre das vielleicht nicht passiert.

Elsa Middeke stammt aus Oldenburg, lebte in Berlin und kommt im Rahmen ihres Volontariats zurzeit täglich nach Merzig.

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