„Wertschätzung ist das nicht“

Saarbrücken · Um die gesellschaftliche Teilhabe behinderter Menschen ging es bei einer Veranstaltung der Lebenshilfe Saarbrücken. Dabei las der Behindertenrechtsaktivist Raul Krauthausen Politikern und Gastgebern die Leviten.

Schon mit den ersten Sätzen machte Raul Krauthausen deutlich, dass er nicht den weiten Weg von Berlin nach Saarbrücken gekommen war, um zu schmeicheln. Wo er auftrete, zitierten Politiker und Verantwortliche ständig das Grundgesetz, wonach Behinderte nicht benachteiligt werden dürfen, sagte der bekannte Mitbegründer des Vereins "Sozialhelden" in Anspielung auf seine Vorredner bei einer Veranstaltung der Lebenshilfe . "Aber als Betroffener merke ich dann, unsere Grundrechte werden mit Füßen getreten."

Als Beispiel nannte er das neue Bundesteilhabegesetz. Nach diesem könnten behinderte Menschen auch künftig in Heime gezwungen werden, so Krauthausen: "Und diese Heime betreibt die Lebenshilfe zum Beispiel oder die Diakonie oder die Caritas ." Auch verpflichte das neue Behindertengleichstellungsgesetz die öffentlichen Einrichtungen zur Barrierefreiheit, aber nicht die Privatwirtschaft, "wie zum Beispiel Sparkassen", kritisierte Krauthausen. Die Folge: Banken installieren neue Geldautomaten mit Touchscreens , die er vom Rollstuhl aus nicht bedienen könne. Er müsse folglich Fremde um Hilfe bitten und ihnen seinen Pin-Code verraten.

Wenn man das Thema des Abends, "Soziales Handeln neu gedacht", ernst nehmen wolle, sagte Raul Krauthausen, so müsse das bedeuten, "dass wir mal Menschen mit Behinderung nicht nur zuhören, sondern sie auch gestalten lassen". Auch die Herabstufung der Stelle der saarländischen Landesbehindertenbeauftragten in ein Ehrenamt kritisiere er deshalb: "Also Wertschätzung ist das nicht."

Wie man soziales Handeln neu denken kann, stellte Krauthausen im positiven Sinne an Projektbeispielen des vor zehn Jahren von ihm mitbegründeten Vereins "Sozialhelden" vor.

So hat der Verein eine Online-Plattform aufgebaut, auf der Bürger selbst bewerten können, ob Cafés, Restaurants oder sonstige öffentliche Einrichtungen in ihrer Stadt barrierefrei sind. Über 700 000 Orte habe man auf dieser interaktiven Landkarte namens wheelmap.org inzwischen gesammelt, berichtete Krauthausen. Sie sei in 24 Sprachen online und damit die größte dieser Art auf der Welt. Zudem vermittele "Sozialhelden" preisgünstige Motorradrampen, mit denen etwa Gastwirte ihren Kneipeneingang barrierefrei machen können. Auf dem Portal www.leidmedien.de gibt der Verein Journalisten, die über das Thema Behinderung berichten, "Formulierungsempfehlungen ohne faden Beigeschmack". Auch eine Reihe guter Praxisbeispiele aus dem Saarland stellte man an diesem Abend in den Räumen der Sparkasse vor.

So berichteten etwa drei junge Leute von ihren eigenen, positiven Erfahrungen im Bereich "Selbstbestimmtes Wohnen" mit ambulanter Assistenz - einem Projekt der Lebenshilfe , als Alternative zum Wohnheim.

Der 1. Vorsitzende der Lebenshilfe , Alfred Haas, appellierte an alle, die Petition zum Teilhabegesetz zu unterzeichnen. Denn das Gesetz stößt in seiner bisherigen Form auch bei der Lebenshilfe auf große Bedenken.

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