Wenn Regeln niemanden interessieren

Saarbrücken · Die Stadt stellte stationäre Blitzer an mehreren Orten in der Stadt auf mit der Begründung: Die Fahrer rasen dort. Jetzt steht fest: Es sind erschreckend viele. Sie haben schon Hunderttausende Euro Strafe bezahlt.

Um sie gab es viele Diskussionen, nun stehen schon sechs in Saarbrücken und machen stoisch das, wofür sie bestimmt sind: Sie blitzen - und das wie am Fließband. Über die neuen stationäre Blitzer wird vehement gestritten. Die einen sehen in ihnen nur willkürliche staatliche "Abzocke" von unbescholtenen Bürgern (FDP-Stadtratsfraktion), andere haben grundsätzlich nichts gegen sie, sie hätten sie nur gern an einer anderen Stelle im Ort.

Nun gibt es zu vier Anlagen die ersten Zahlen. Diese Blitzer stehen in der Egon-Reinert-Straße, in der Lebacher Landstraße, in der Metzer Straße und in der Talstraße. Für die neuen Geräte in der Camphauser Straße und den diese Woche scharfgeschalteten Blitzer An der Heringsmühle in Fechingen gibt es noch keine Zahlen.

Die Stadt hat für vier erstgenannten Blitzer die Anzahl der Vergehen für die Zeit vom 1. Juni bis zum 15 Juli herausgegeben. Die Bilanz ist überraschend: In diesen sechs Wochen haben die vier Kontroll-Anlagen 27 380-mal ausgelöst, weil Autofahrer sich nicht an die vorgeschriebene Geschwindigkeit gehalten haben. Das sind umgerechnet 608 Fälle pro Tag.

Im Vorfeld war viel über die ausgewählten Standorte diskutiert worden. Zu weit weg von der Stadtteilmitte und damit von Schulen und Kindergärten , argumentierten Kritiker zum Beispiel in Malstatt. Dort stehen die Blitzer am Ortsausgang.

Die Stadt hat genau erklärt, warum die Anlagen dort stehen, wo sie jetzt stehen: "Entscheidend für die Auswahl der Standorte war für uns der Aspekt der Verkehrssicherheit. Die Landeshauptstadt hatte daher vor dem Aufstellen der stationären Blitzer 78 Straßen innerhalb des Stadtgebietes in Zusammenarbeit mit der Polizei untersucht. Bei der Entscheidung für die Standorte hatte sich die Stadt unter anderem darauf konzentriert, wo viele Unfälle passieren und wo häufig zu schnell gefahren wird. Wichtig war auch, ob an den Straßen Einrichtungen wie Kindergärten , Schulen oder Pflegeheime liegen", sagt Bürgermeister Ralf Latz . Diese Messungen der Polizei haben zum Beispiel ergeben, dass in der Camphauser Straße stadtauswärts 87 Prozent der Autofahrer zu schnell unterwegs waren. Dort gilt Tempo 50.

Stadteinwärts waren es 75 Prozent der Autofahrer , die sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung hielten und zu schnell in den Ludwigskreisel fahren. Ähnliche Ergebnisse gab es in der Lebacher Straße, wo es Kindergärten , Saarbahnhaltestellen und Schulen gibt.

Die Metzer Straße ist eine der meistbefahrenen Straßen der Stadt. Täglich sind dort rund 13 000 Fahrzeuge unterwegs. Gut die Hälfte ist zu schnell. Hier sterben immer wieder Menschen bei Unfällen.

Latz argumentierte schon im vergangenen Jahr, dass Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass dort, wo stationäre Blitzer stehen, die Geschwindigkeitsüberschreitungen um 90 Prozent weniger werden.

Die Blitzeranlagen und deren Unterhaltung kosten die Stadt in den nächsten acht Jahren insgesamt 4,3 Millionen Euro . Der Blitzer an der Heringsmühle ist da noch nicht mit eingerechnet, da er außerplanmäßig aufgestellt wurde.

Zehn Mitarbeiter in Teilzeit kümmern sich um die Auswertungen der Blitzer. Die Stadt erwartet, dass die Einnahmen durch Geschwindigkeitsüberschreitungen die Kosten in jedem Fall decken. Man erwarte sogar einen Überschuss.

Dass diese Annahme nicht übertrieben ist, zeigen allein schon die Zahlen von Juni bis Mitte Juli. Die 27 380 Vergehen in dieser Zeit kosteten die Raser 318 974 Euro .

Wenn die Menschen in der Stadt weiter so rasen, dürften sich die Ausgaben bald amortisiert haben.

Meinung:

Tempo 30 ist keine Schikane

Von SZ-Redakteur Fabian Bosse

Die Zahlen sind ein Skandal. 318 974 Euro mussten 27 380 Autofahrer in nur vier (!) Straßen insgesamt schon zahlen, weil sie sich nicht an die vorgeschriebene Geschwindigkeit gehalten haben. Hunderttausende Euro Bußgelder - in nur knapp sechs Wochen. Das ist entlarvend. Wir Autofahrer meinen ständig, uns über alles hinwegsetzen zu können. Tempo 30? "Gute Sache, aber doch für Leute, die nicht fahren können. Ich bin ein sicherer Fahrer, ich kann sogar gleichzeitig noch eine WhatsApp beantworten." Aber warum jetzt gleich wegen einer Unachtsamkeit gleich die Moralkeule rausholen? Weil zwischen Glück gehabt und großem Unglück nur 20 km/h liegen.

Die SZ hat schon mehrmals in den vergangenen Jahren vorgerechnet: Tempo 30 rettet Leben. Es sorgt für weniger Unfälle und dafür, dass die Unfälle, die trotzdem geschehen, weniger gefährlich sind. Wenn ein Auto mit 50 auf einen Menschen prallt, dann ist die Zerstörungskraft des Autos dreimal so groß wie die eines Autos, das 30 fährt. Wenn ein Auto in der Egon-Reinert-Straße 50 fährt und 15 Meter vor der Stoßstange ein Kind auf die Straße rennt, kann der Fahrer unmöglich rechtzeitig halten. Das Auto prallt mit Tempo 47 auf das Kind - so hart, als würde das Kind aus zehn Metern Höhe auf die Straße stürzen. Wäre das Auto 30 gefahren, hätte ein durchschnittlicher Fahrer es zwei Meter vor dem Kind zum Stehen gebracht. "Tempo 30 ist also keine Schikane, sie mindert Leid, Kummer und Schmerz", schrieb die Stadt schon 2007. Und: Es macht kaum langsamer: Bei Tempo 30 verringert sich die durchschnittliche Geschwindigkeit in der Stadt nur von 19,3 auf 18,6 km/h.

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