„Waldarbeit ist Kopfarbeit“

St Ingbert · Ein Viertel des saarländischen Waldes ist in Privatbesitz. Um Unfälle im Privatwald zu vermeiden, bildet die Mobile Waldbauernschule die Besitzer seit 1994 mit sicherheitsorientierten Kursen weiter – ein Selbstversuch.

 Maßarbeit im Selbstversuch: Bei den entscheidenden Schnitten pocht das Herz. Foto: Böttger

Maßarbeit im Selbstversuch: Bei den entscheidenden Schnitten pocht das Herz. Foto: Böttger

Foto: Böttger

Der Motor dreht auf, die Kette rast, zum Denken ist keine Zeit mehr. Die Arme sind gestreckt, der Körper gespannt, als sich die Kette durch den dünnen Holzsteg frisst, der den Baum noch hält. Ein Knacken löst den Reflex aus. Jetzt heißt es nur noch: Raus mit der Säge und weg. Der Rückzugsweg ist sorgfältig freigeräumt - jeder Ast, jeder Baumstumpf könnte nun zur tödlichen Falle werden. Aus sicherer Entfernung sehe ich die 30 Meter hohe Buche fallen. Mit großem Krach rauscht sie durch die benachbarten Kronen, donnert dann auf den Waldboden. Noch ist die Gefahr nicht vorbei. Bedrohlich schwanken die übrigen Wipfel. Der Blick bleibt oben, prüft, ob sich Äste lösen, die dann wie Pfeile durch die Luft jagen können.

Am Boden liegt jetzt mein erster selbst gefällter Baum. Zumindest mein erster offiziell selbst gefällter Baum. Zwar habe ich schon früher Bäume umgelegt, jetzt weiß ich aber, dass ich meinen Schutzengel arg strapaziert habe.

Die Erkenntnis gibt mir der Grundlehrgang "Umgang mit der Kettensäge" bei der Mobilen Waldbauernschule. Und Torsten Böttger. Der Forstwirtschaftsmeister ist Ausbilder an der Waldarbeiterschule in Eppelborn und gemeinsam mit Aribert Schuck für den Kurs zuständig. Die Mobile Waldbauernschule richtet sich an private Waldbesitzer, die ein mehr oder weniger großes Waldstück oder vielleicht eine Streuobswiese haben und auch mal einen Baum fällen müssen. Rund 500 Teilnehmer durchlaufen jedes Jahr die Lehrgänge der Waldbauernschule, die für Waldbesitzer kostenlos angeboten werden. Mit einem mobilen Schulungswagen betreuen dort zwei Ausbilder jeweils acht bis zwölf Kursteilnehmer an wechselnden Einsatzorten im Saarland.

"Waldarbeit ist Kopfarbeit", sagt Böttger und wiederholt immer wieder, dass es vor allem auf die richtige Vorbereitung ankommt. Beim entscheidenden, letzten Schnitt geht es nur noch um Schnelligkeit und sekundengenaue Reaktion. Zuvor aber gilt: "Schneiden, gucken, schneiden, gucken" - und immer wieder den Baum kontrollieren.

Fünfzehn Minuten gibt Böttger mir, um mich mit meinem Baum vertraut zu machen. Wohin soll er fallen, in welche Richtung neigt er sich? Stehen Bäume im Weg? All das hat Auswirkung auf die Fälltechnik. Böttger geht es weniger um die reine Säge-Technik. Die haben wir im Vorfeld geübt - und die meisten Teilnehmer arbeiten schon jahrelang mit der Kettensäge. Ihm geht es darum, den Baum zu verstehen. Und um die Dynamik, die entsteht, wenn ein tonnenschwerer Stamm zu Boden geht. Mit allen dazugehörenden Gefahren.

Bei meinem Baum sehe ich mit der geplanten Fallrichtung ein Problem. Ein zweiter, kleinerer Baum steht im Weg. Der muss weg. Sieht leicht aus, geht aber schief. Weil ich nicht sorgfältig genug peile, fällt der Baum einen Meter zu weit nach links und verkeilt sich in einer Baumkrone. Nur mit Muskelarbeit ist er freizubekommen.

"Die Kleinen sind die schwierigsten", sagt Böttger und betont noch einmal, wie wichtig exaktes Arbeiten ist. Auch jetzt beim Anlegen der Fällkerbe. Er hat einen Stock in den Boden gesteckt. Fünfzehn Meter entfernt. Den muss ich treffen. Zweimal korrigiere ich den Keil, über den der Baum später wegkippt. Eigentlich ist das alles ganz logisch: Die Fällkerbe macht es erst möglich, dass der Stamm kippen kann. Hintendran wirkt eine Bruchkante wie ein Scharnier. Sie ist das Herzstück. Ist sie zu dünn, kann sie reißen und der Baum fällt unkontrolliert. Ist sie zu dick, kommt der Baum gar nicht erst in Bewegung. Und dann ist da noch das Halte- oder Stützband. Das bleibt bis zum Schluss stehen, auch wenn bereits Keile in den Schnitt gehämmert sind, die den Baum unter Spannung setzen. Dieses Band ist quasi meine Lebensversicherung. Solange es fest ist, wird der Baum nicht fallen.

Trotz aller Logik - als sich die Säge nun auch praktisch in das Holz frisst, pocht trotzdem das Herz. Und der Kopf fängt schnell an zu rechnen: Ein Festmeter Buche wiegt trocken rund 300 Kilo, feucht dürfte es gut das Dreifache sein. Und der Baum hat sicher zwei bis drei Festmeter. Also bin ich gerade dabei, rund drei Tonnen Holz zu Fall zu bringen. Ruhig und besonnen solle man an die Arbeit gehen, sagte Böttger. Leicht gesagt. Trotzdem versuche ich, ruhig die Schnitte zu setzen. Und nicht vergessen: "Schneiden, gucken, schneiden, gucken."

Seit 1994 ist Böttger mit der Mobilen Waldbauernschule im Saarland aber auch im angrenzenden Luxemburg unterwegs, um Privatwaldbesitzer zu schulen. Über 5000 Kursteilnehmer haben dort in den vergangenen 20 Jahren gelernt, mit der Kettensäge zu hantieren. Dabei geht es in den zweitägigen Kursen bei weitem nicht nur ums Fällen. Sicherheit steht an erster Stelle. Wie wichtig die Schutzausrüstung mit Helm, Schnittschutzhose und Schnittschutzschuhen sind, betont nicht nur Ausbilder Schuck. Es zeigt sich auch schnell praktisch: Ein Teilnehmer kommt mit der laufenden Kette an die nagelneue Schutzhose. Die ist zwar hin - das Bein aber bleibt heile.

Ob Spannung im Holz, Sicherheitsabstand beim Fällen und die nötigen Absperrmaßnahmen - das Programm ist dicht gepackt mit Informationen. Auch die Pflege der Kettensäge und eine ausführliche Anleitung zum Kettenschärfen gehört dazu. Über die "Kettensägenführerscheine", die in den Volkshochhochschulen angeboten werden und zum Sägen des Brennholzes am Waldrand befähigen, geht das in seiner Intensität weit hinaus.

Auch ich besitze hinter meiner Obstwiese noch ein Stück Wald. Es ist nicht viel, aber der ein oder andere Baum muss doch gefällt werden. Die sicherlich wichtigste Erkenntnis, die Böttger mir mit auf den Weg gegeben hat, ist die der eigenen Grenzen: "Wenn Euch ein Baum kritisch erscheint, macht es nicht selbst, sondern holt Fachleute dazu." Man sollte den Schutzengel nicht überstrapazieren. Innerhalb ihres Frühjahrsprogramms bietet die St. Wendeler Volkshochschule in Kooperation mit dem SaarForst Landesbetrieb einen zweitägigen Grundkurs "Brennholzaufarbeitung mit der Motorsäge - Grundkurs (am liegenden Holz)" mit der mobilen Waldarbeitsschule Saarland im St. Wendeler Wald an. Der Kursus findet am Freitag, 25., und Samstag, 26. April, jeweils von 8.30 bis 16 Uhr, statt. Der genaue Treffpunkt wird kurzfristig bekannt gegeben. Die Teilnahme kostet 125 Euro. Anmeldungen bei der VHS-Geschäftsstelle, Telefon (0 68 51) 8 09 19 31. Es sind nur noch wenige Plätze frei.

In Theorie und Praxis werden in dem Kursus Kenntnisse zu Unfallverhütungsvorschriften und der sichere Umgang mit der Motorsäge vermittelt. Das Tragen von Schutzkleidung ist dabei zwingend vorgeschrieben. Die Schutzausrüstung sollte, sofern vorhanden, mitgebracht werden. Motorsägen werden gestellt. Teilnehmer sollten auch Verpflegung aus dem Rucksack nicht vergessen.

 Geschafft: Der Baum ist perfekt in die gewünschte Richtung gefallen und bereit zum Zerlegen. Fotos: Wollschläger

Geschafft: Der Baum ist perfekt in die gewünschte Richtung gefallen und bereit zum Zerlegen. Fotos: Wollschläger

 Das war kein Buntspecht mit Viereck-Schnabel. Sondern Einstechübungen mit der Kettensäge am liegenden Stamm.

Das war kein Buntspecht mit Viereck-Schnabel. Sondern Einstechübungen mit der Kettensäge am liegenden Stamm.

 Forstwirtschaftsmeister Torsten Böttger (r.) erklärt den Kursteilnehmern, wie die Fallrichtung eines Baums bestimmt wird.

Forstwirtschaftsmeister Torsten Böttger (r.) erklärt den Kursteilnehmern, wie die Fallrichtung eines Baums bestimmt wird.

Zum Thema:

HintergrundDie Mobile Waldbauernschule wird gemeinschaftlich vom vom Umweltministerium, der Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau sowie dem Verband der Privatwaldbesitzer getragen. Sinn und Zweck ist es, in mehrtägigen Grund- und Aufbau-Lehrgängen Privatwaldbesitzer im Umgang mit gefährlichen Werkzeugen wie Kettensäge und Freischneider zu schulen.Ein Drittel des Saarlandes ist von Wald bedeckt, rund ein Viertel davon - etwa 25 000 Hektar - sind Privatwald. Der Rest gehört dem Saarforst, den Kommunen und Gemeinden oder der Kirche.Waldarbeit ist hochgefährlich. 20 Prozent aller tödlichen Arbeitsunfälle gehen auf die Forstwirtschaft zurück. Ziel der Kurse ist es, für die Gefahren zu sensibilisieren und so die Unfallgefahr zu senken. jwo

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