Von Fürst Pückler lernen heißt sägen lernen

Saarbrücken · Rekorde , Rekorde : Gleich im Frühling geht es los, Herr Pflaumann beginnt. Der greise Obstbaum, der es seit jeher eilig hat und als Erster im ganzen Umkreis blüht, schafft es nach dem milden Nicht-Winter noch eine Woche früher als sonst, Ende März steht er ganz in Weiß da.

 Beet-Baustelle mit Durchblick: Links bietet sich nach dem Rauswurf eines Chinaschilfs plötzlich freie Sicht auf ein apartes Japan-Ahörnchen. Ein zweiter Pflanzen-Rausschmiss hat die Perspektive in Richtung Gartenbank (im Hintergrund) geweitet – diese Achsen sollen von nun an offenbleiben. Foto: Döpke

Beet-Baustelle mit Durchblick: Links bietet sich nach dem Rauswurf eines Chinaschilfs plötzlich freie Sicht auf ein apartes Japan-Ahörnchen. Ein zweiter Pflanzen-Rausschmiss hat die Perspektive in Richtung Gartenbank (im Hintergrund) geweitet – diese Achsen sollen von nun an offenbleiben. Foto: Döpke

Foto: Döpke
 Sommer-Blütenberg: Ins dichte Weiß der Rosa moschata – der extrem stachelige Strauch wird riesig – mischen die Rosen „Westerland“ (links) und „Autumn Sunset“ Farbtupfer in Orange und Goldgelb. Foto: Döpke

Sommer-Blütenberg: Ins dichte Weiß der Rosa moschata – der extrem stachelige Strauch wird riesig – mischen die Rosen „Westerland“ (links) und „Autumn Sunset“ Farbtupfer in Orange und Goldgelb. Foto: Döpke

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 Unentbehrlich zum Zähmen des Gartendschungels, von links: zweimal Spaten, Astschere, Rosenschere, Machete (zum Stauden-Teilen), zweimal Säge. Und immer dabei: lange, solide Handschuhe. Foto: Döpke

Unentbehrlich zum Zähmen des Gartendschungels, von links: zweimal Spaten, Astschere, Rosenschere, Machete (zum Stauden-Teilen), zweimal Säge. Und immer dabei: lange, solide Handschuhe. Foto: Döpke

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 Herbst-Blütenberg: Buschklee (Lespedeza thunbergii) fällt wie ein violetter Wasserfall über eine Hangstützmauer. Der Strauch treibt erst spät im Jahr aus und blüht bis in den November hinein. Foto: Döpke

Herbst-Blütenberg: Buschklee (Lespedeza thunbergii) fällt wie ein violetter Wasserfall über eine Hangstützmauer. Der Strauch treibt erst spät im Jahr aus und blüht bis in den November hinein. Foto: Döpke

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Vogel- und Sauerkirsche lassen sich anstecken vom Tempo-Ehrgeiz. Aufs Weiß folgt die Rosa-Orgie der Zierkirschen; Mitte April haben sie ihr Pulver bereits verschossen. Aber da sind schon die Päonien auf den Plan getreten. Und die Rosen öffnen erste Blüten, liefern bis in den Juni eine Farb- und Duftsinfonie wie noch nie. Anfang Juli meldet sich Herr Pflaumann erneut, hält mich mit Früchten zentnerweise in Atem. Herrliche Fülle, das gibt es nur alle Jubeljahre.

Doch nach dem Blütenrausch kommt Ernüchterung. Nicht dass es nun keine Blüten mehr gäbe; die "Es-wird-durchgeblüht"-Lek tion des großen Staudengärtners Karl Foerster habe ich inzwischen halbwegs gelernt, Taglilien, Phlox, Sterndolden, Funkien und Co. begleiten mich in den Hochsommer, Astern- und Buschklee-Blütenberge in den Herbst. Dennoch, ich verspüre Unbehagen, die grüne Üppigkeit macht mich nicht froh. Grummelnd streife ich durch die Beete. Und gestehe mir schließlich ein: Mein Garten gefällt mir nicht. Du liebe Güte. Alles umkrempeln? Wie kann ich's besser machen, welcher Ratgeber hilft mir weiter? Grüne Daumen sind ja nicht angeboren, Gartengeschick entwickelt sich erst durch Vorbilder, Lernen und Erfahrung.

Es dauert ein paar missvergnügte Tage, bis der Groschen fällt: Mich stört die Fülle - es steckt zu viel in den Beeten, sie gleichen hoffnungslos übermöblierten Zimmern. "Das Hauptwerkzeug, dessen wir uns zum Schaffen bedienen, unser Pinsel und Meißel, ist der Spaten", hat Fürst Hermann von Pückler-Muskau, Schöpfer grandioser Parks, in seinen "Andeutungen über Landschaftsgärtnerei" geschrieben - oh ja, gepflanzt habe ich reichlich, und nun herrscht Gedränge; ich sehe vor lauter Grünzeug keinen Garten mehr. Pückler hat das Problem gleich im nächsten Satz gelöst: "Das Hauptwerkzeug des Erhaltens und Fortarbeitens aber ist die Axt." Auslüften, auslichten, das ist es.

Im Gärtchen fange ich ein paar Nummern kleiner an, greife zur Schere. Schon die erste Runde, sachter Strauchschnitt, lässt die ungemütliche Überfülle schwinden, Struktur kehrt zurück. Das macht Mut für Runde zwei: Ein Chinaschilf hat im fetten Krugbäckerlehm klammheimlich Dschungelspielchen begonnen - Schluss damit, das dicke Ding muss raus. Im vorigen Jahr habe ich mich vor dem Job gedrückt, denn er ist Spatenstecherei der harten Art. Tropfen perlen mir von der Stirn; das Gewächs ist widerspenstig, hebeln, an den Halmen ziehen, wieder hebeln, mehr Stirntropfen, mehr Hebeln - endlich liegt der Grashorst flach. Und ich trete verblüfft zwei Schritte zurück: Plötzlich habe ich freien Blick auf das Japan-Ahörnchen mit dem fedrigen hellgrünen Laub und der eigenwillig grünen Borke. Bezaubernd, so habe ich das Drei-Meter-Bäumchen noch nie wahrgenommen, solch eine Schönheit gehört komplett ins Rampenlicht - ein weiteres Chinaschilf fliegt raus. Neues Ackern. Neues Staunen: Nun kann ich bis zum Sitzplatz hinten im Garten sehen. Dafür hat sich das Schwitzen gelohnt.

Jetzt ist kein Halten mehr, die frisch geschlagene Sichtachse wird restlos freigeräumt. Ein hoher Phlox steht im Weg, er darf ans Ende einer zweiten Achse. Mehr Stauden und Gräser müssen umziehen, um auch den Eisenholzbaum freizustellen; der ist noch ein Baby, grad anderthalb Meter hoch, aber sehenswertes Herbstrot kann er schon. Krater tun sich auf im zertrampelten, ramponierten Beet. Sei's drum, das ist reparabel, und die Baustelle schafft Durchblick. Bei der Luftmacher-Runde drei habe ich endgültig Courage gefasst, ich rücke Sträuchern und Rosen mit der Säge zuleibe. Rekorde , Rekorde : So hohe Astberge musste der Häcksler noch nie zerkleinern.

Die Axt, schrieb Pückler, "darf keinen Winter ruhen, oder es geht uns mit den Bäumen wie dem Zauberlehrling mit den Wasserträgern - sie wachsen uns über den Kopf". Wo Bäume zu groß, zu dicht, zu finster werden, wandelt sich Park zu Wald, Naturwuchs steht gegen gestaltetes Grün. Die Macher müssen sich entscheiden, für diesen, gegen jenen Baum.

Für diesen, gegen jenen Strauch. Für diese, gegen jene Rose oder Staude: Auch im Gärtchen ist, im Ganzen betrachtet, weniger einfach mehr. Ich jedenfalls werde dank Pückler künftig beherzter sägen.

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