Viele Kinder haben große Sprachprobleme

Regionalverband · Viele Kinder aus armen Familien, aber auch einige aus der Mittelschicht haben schlechte Zähne. Das muss nicht sein, sagt das Gesundheitsamt. Denn die Vorsorgeuntersuchungen zahle die Krankenkasse. Das Amt macht auch selbst Untersuchungen.

 Bevor sie im Klassenzimmer zusammensitzen, werden im Regionalverband alle Kinder untersucht. SymbolFoto: dpa

Bevor sie im Klassenzimmer zusammensitzen, werden im Regionalverband alle Kinder untersucht. SymbolFoto: dpa

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Die Zahl von Kindern mit Sprachauffälligkeiten ist in Saarbrücker Stadtteilen mit vielen armen Familien deutlich höher als in anderen Stadtteilen. "Es gibt hier einen direkten Zusammenhang", sagt Katrin Braun-Bither, Abteilungsleiterin im Jugendärztlichen Dienst des Regionalverbandes. Wie im Sozialbericht 2012 lag auch 2015 die Grundschule (GS) Weyersberg in Burbach im Verhältnis zur Zahl der Erstklässler in der jüngsten Statistik bei den Sprachauffälligkeiten auf Platz eins, gefolgt von den Grundschulen Brebach-Fechingen und Füllengarten. An der GS Weyersberg war jedes zweite der neu eingeschulten Kinder davon betroffen. Unter den ersten zehn Schulen auf der Liste sind aber auch Standorte wie Ensheim oder Scheidt, wo vergleichsweise wenige Hartz-IV-Empfänger leben. Wie passt das zusammen?

Katrin Braun-Bither erläutert, dass hier die Statistik nicht ganz genau ist. So würden Kinder, die gebrochen Deutsch sprechen, nicht als sprachauffällig gewertet. Außerdem würden nur Kinder berücksichtigt, die bereits drei Jahre hier leben. In der Statistik werde nur festgehalten, welche Kinder Sprachfehler, einen mangelnden Wortschatz oder ein nicht ausreichendes Sprachverständnis haben.

Trotzdem stimme ihre These, sagt Braun-Bither. Besonders in Stadtteilen wie Burbach, Malstatt und Teilen Alt-Saarbrückens sei das Problem akut. Nach Angaben der Stadtpressestelle waren diese Stadtteile bei der Zahl von Hartz-IV-Empfängern in Saarbrücken ganz vorne (Stand März 2016). Das gelte auch für Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren, die Hartz IV bekommen. Braun-Bither betont: "Die Ansprache fehlt schon im Babyalter, die Eltern lesen wenig vor, und es herrscht ein rauer Umgang." Das treffe in erster Linie auf deutsche Familien und schon lange hier lebende Ausländer zu. "Oft haben die Eltern schon selbst Probleme in der Kindheit gehabt", erläutert sie.

Das Gesundheitsamt habe deshalb flächendeckend Untersuchungen im vorletzten Kindergartenjahr eingeführt. Jungen und Mädchen, die dort auffallen, erhalten eine Frühförderung oder werden zum Logopäden geschickt. Die Behandlung beim Logopäden bezahle die Krankenkasse, sagt Braun-Bither. "Die Kinder mit besonderen Problemen schauen wir uns im letzten Kindergartenjahr noch einmal an." Bewährt hätten sich die "Vorlaufkurse" im letzten Halbjahr vor Schulbeginn. Ausländerkinder und Deutsche erhalten in der Grundschule oder der Kita eine intensive Sprachförderung. Weil im vergangenen Jahr aber viele Flüchtlinge gekommen sind, hat sich dieses Problem nach Angaben der Abteilungsleiterin verschärft - besonders in Völklingen, Brebach, Burbach, Malstatt und St. Arnual. Das Gesundheitsamt schaut gemeinsam mit dem Jugendamt auch genau hin, ob die Eltern regelmäßig mit den Kindern zur Vorsorgeuntersuchung gehen. Das saarlandweit zuständige Kindervorsorgezentrum in Homburg meldet dem Gesundheitsamt, wenn Eltern diese Termine verpassen. 2055 Meldungen sind 2015 beim Amt eingegangen, berichtet Braun-Bither. 527 Hausbesuche haben die Mitarbeiter des Gesundheitsamts gemacht, wenn die Eltern nach einer Woche nicht reagieren. Oft kenne das Jugendamt bereits diese Familien.

Als "schönen Erfolg" wertet Braun-Bither, dass 97 Prozent der Vier- und Fünfjährigen mit den Eltern zu den wichtigen Untersuchungen gegangen seien. Aus Sicht des Gesundheitsamts hat sich das System bewährt - auch wenn das Jugendamt nicht auf mehr Fälle von Kindesmissbrauch gestoßen sei. Um diese zu verhindern, gibt es die "Frühen Hilfen". Kliniken, Ärzte und Gynäkologen melden so genannte "Risikofamilien"; manche Frauen meldeten sich auch selbst, wenn sie sich mit der Erziehung überfordert fühlen. Schon während der Schwangerschaft könne die Betreuung beginnen. Ganz wichtig: Das Gesundheitsamt nehme nur Kontakt mit dem Jugendamt auf, wenn die Familien auch zustimmten. Sie versuche, ihnen die Angst vor dem Jugendamt zu nehmen, sagt Braun-Bither: "Das Amt ist ja nicht nur dazu da, Eltern die Kinder wegzunehmen, sondern ihnen zu helfen."

Sie stellt aber auch klar, dass der Regionalverband keine Wunder vollbringen kann: "Wenn die Weichen für die Kindergesundheit nicht früh gestellt werden, können wir nicht alle Versäumnisse der Eltern ausbügeln."

"Armut macht krank." Unter dieser Überschrift haben die Gemeinwesenprojekte im Bilanzgespräch 2015 mit der Verwaltung auf ein Problem hingewiesen: "Besonders in bildungsfernen und von Armut betroffenen Haushalten werden Defizite bei der Ernährung beobachtet. Die Folge sind auffallende Mängel in der Zahngesundheit bereits im Kindes- und Jugendalter." Dr. Annette Szliska, Leiterin des zahnärztlichen Dienstes im Gesundheitsamt des Regionalverbandes, untermauert die Aussagen der Gemeinwesenarbeit: Bei 34 Prozent aller Grundschüler im Regionalverband hatte das Gesundheitsamt im vergangenen Jahr Karies festgestellt, drei Prozent mehr als 2013.

Bei den Erstklässlern waren es sogar 38 Prozent. Damit steige das Risiko, dass bleibende Zähne von Karies befallen sind. Auch der Prozentsatz von Risikokindern in der 1. Klasse mit mehr als sechs kariösen Zähnen stieg in dem Zeitraum von acht auf zwölf Prozent, erklärt Szliska.

Betroffen seien Kinder aus Familien mit niedriger Bildung, aber auch der Mittelschicht, deren Eltern teilweise durch Unkenntnis das Zähneputzen ihrer Kinder vernachlässigen, schreibt die Ärztin im Entwurf für den nächsten Sozialbericht des Regionalverbandes. Schlechte Zähne müssen aber gar nicht sein, findet Szliska. Die Krankenkasse zahle eine Frühuntersuchung zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr des Kindes und die "Individualprophylaxe" zweimal jährlich zwischen dem sechsten und 18. Lebensjahr. Darin enthalten seien auch ein Zahnputztraining sowie Tipps zur gesunden Ernährung. "Das Angebot wird aber oft nicht angenommen", weiß Szliska. Deshalb untersucht sie mit zwei zahnmedizinischen Fachangestellten vor allem in den Grundschulen mit "Hochrisikokindern" die Zähne.

Eltern reagieren spät

Hier liegen nach ihren Angaben die Schulen aus Malstatt und Burbach vorne. Sliszka schreibt nach den Untersuchungen die Eltern an. Wenn die mit dem Nachwuchs nicht zum Zahnarzt gehen, folgt nach zwei Monaten eine Mahnung. Das gelte für die Kinder mit sechs oder mehr kariösen Zähnen. Passiert immer noch nichts, informiert die Zahnärztin nach sechs Wochen das Jugendamt. Grundlage dafür sei das Bundeskinderschutzgesetz. Erst nach dieser Drohung würden viele Eltern reagieren. In manchen Fällen helfe aber nur noch eine Narkosebehandlung beim Zahnarzt. Manche überforderten Eltern oder Alleinerziehende würden sich aber über die Hilfe des Jugendamts freuen. Denn auch viele Eltern hätten keinen geregelten Tagesablauf. Szliska ist froh, dass es die Kinderhäuser in Alt-Saarbrücken, Malstatt, Burbach und Völklingen gibt. Mit diesen stehe der zahnärztliche Dienst in engem Kontakt, statte sie mit Bürsten und Zahncreme aus. Dort gewöhnten sich die Kinder daran, Zähne zu putzen und Hausaufgaben zu machen.

Szliska ist optimistisch, dass die Karies-Zahlen wieder sinken. Wichtig sei der Beschluss auf Bundesebene, nun drei Zahnuntersuchungen in den ersten drei Lebensjahren vorzuschreiben. Diese Untersuchungen würden noch in diesem Jahr in das Vorsorgeheft aufgenommen. So könne der Kinderarzt sehen, ob die Eltern bei den Zahnuntersuchungen waren. Szliska: "Das ist ein großer Fortschritt."

Meinung:

Arme Kinder brauchen Hilfe

Von SZ-Redakteur Markus Saeftel

 Früh übt sich, wer gesunde Zähne haben will. Foto: dpa

Früh übt sich, wer gesunde Zähne haben will. Foto: dpa

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Die Zahlen des Gesundheitsamts sind alarmierend und belegen einmal mehr, wie sich soziale Probleme im Regionalverband konzentrieren. Viele Kinder haben Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Auch bei der Zahngesundheit liegt einiges im Argen. Vor allem in Stadtteilen mit vielen armen Familien sind die Probleme groß. Saarlandweit ist der Regionalverband bei der Kinderarmut leider spitze. Und die wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Umso wichtiger ist die Arbeit des Regionalverbandes. Sprachtests und -förderung gibt es schon in der Kita, Gesundheitsuntersuchungen bei der Einschulung. Wenn die Eltern auf Mahnungen nicht reagieren, die Kinder zum Zahnarzt zu schicken, meldet dies das Gesundheitsamt dem Jugendamt. Manchmal hilft eben nur Druck. Das alles ist gut, aber die Personaldecke ist dünn. Dabei steigen die Anforderungen noch. Denn die Sprachprobleme haben sich durch den Zuzug der Flüchtlinge verschärft. Der Regionalverband müsste die Anstrengungen also noch erhöhen. Doch das geht nur mit finanzieller Unterstützung von Bund und Land und dem klaren Signal an die Eltern : Ihr seid in erster Linie für den Nachwuchs verantwortlich.

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