Tote verfolgen manchen bis in die Träume

Saarbrücken. Polycarp Finck steht in der 15 Quadratmeter kleinen Einsatzzentrale auf und blickt sich um. Der Mann mit den eindringlichen Augen lächelt. Schwarzes T-Shirt, Jeans, angesagte New-Balance-Turnschuhe: Der 53-jährige Kriminalkommissar mit den kurz geschorenen Haaren sieht fit und drahtig aus

 Beim Kriminialdauerdienst auf der Wache in Saarbrücken: (v.l.) Pia Kirch mit Andreas Hollinger und Polycarp Finck. Fotos: Thomas Wieck

Beim Kriminialdauerdienst auf der Wache in Saarbrücken: (v.l.) Pia Kirch mit Andreas Hollinger und Polycarp Finck. Fotos: Thomas Wieck

Saarbrücken. Polycarp Finck steht in der 15 Quadratmeter kleinen Einsatzzentrale auf und blickt sich um. Der Mann mit den eindringlichen Augen lächelt. Schwarzes T-Shirt, Jeans, angesagte New-Balance-Turnschuhe: Der 53-jährige Kriminalkommissar mit den kurz geschorenen Haaren sieht fit und drahtig aus. Man würde ihn für alles halten - nur nicht für 53, wie erst die Fältchen unter den Augen verraten.

Poly, wie alle den Mann mit dem ungewöhnlichen Vornamen ("das kommt aus dem Griechischen") nennen, ist an diesem Freitagabend Chef beim Kriminaldauerdienst (KDD) in der Saarbrücker Graf-Johann-Straße. Von 20.45 Uhr bis 6.45 Uhr haben Poly und seine Kollegen Spätschicht.

Dabei ist auch Pia Kirch. Die 30-Jährige aus Oberthal hat lange, dunkle Haare und ist wie alle in zivil gekleidet. Die junge Polizeikommissarin mit dem grauen Pulli und dem Schal ist seit 2002 bei der Polizei. "Frauen sind bei uns auf dem Vormarsch", sagt Kirch und schlägt die Beine übereinander.

Dann, es ist kurz vor zwölf, geht das Telefon. Es sind die Kollegen von der Streifenpolizei. Verdacht auf Vergewaltigung. Kirch und Kollege Andreas Hollinger, 35, machen sich auf den Weg. Holle, wie er genannt wird, ist verheiratet, zwei Kinder. Der Kriminalhauptmeister ist ein 1,90 Meter großer Schlacks mit Brille und hochgegelten Haaren, der in allem, was er tut, souverän wirkt.

Es geht ins Klinikum auf den Winterberg. Ohne Blaulicht fährt der Wagen durch die leeren Straßen. Draußen regnet es. Jeder Atemzug ist sichtbar, und die Kälte kriecht langsam wie ein Gas in alle Glieder.

Im Krankenhausflur riecht es klinisch, kaltes, fahles Licht erhellt die lang gezogenen Gänge. "Hier wird gerne gestorben, wir sind hier Stammgäste", sagt Hollinger. Bei einer Frau wurden Kratzspuren an den Oberschenkeln festgestellt, ihr Freund hatte die Polizei gerufen. Die Frau ist betrunken und kann den Beamten keine Auskunft geben. Nach Rücksprache mit der Ärztin ist klar: falscher Alarm. Auf der Rückfahrt sitzt Hollinger auf dem Fahrersitz und überlegt. "Da muss schon Idealismus dabei sein. Es ist der Antrieb, zu helfen", sagt er über seine Motivation, diesen Beruf zu ergreifen.

Zurück auf der Wache. Kirch hat denselben Antrieb. Sie findet es nicht ungewöhnlich, diesen Job zu machen. Der Umgang mit den Leichen mache ihr wenig aus. "Man hat mit allen Sorten von Leuten zu tun. Wenn du alles mit heimholst, brauchst du bald 'nen Psychiater. Die Mama hat mir ein bisschen abgeraten, der Job ist aber nicht gefährlich", sagt sie. 60 Leichen in 17 Monaten sind ihre Bilanz.

Manche liegen seit Wochen, sind grün, aufgebläht oder voller Maden. Bahnleichen sind verteilt über mehrere hundert Meter. Den süßlichen Geruch müsse man aus den Kleidern waschen. "Das Schlimmste sind die Angehörigen. Denen die Todesnachricht zu überbringen. Manche ahnen es schon, wenn wir kommen, die haben einen siebten Sinn", erzählt Kirch. Sie kam für eine Kollegin, die es nicht mehr aushielt. Die von den Toten träumte. Von einer aufgespießten Leiche.

Dann scherzen die Kollegen. Es wird ohnehin viel gelacht beim KDD. "Es ist wichtig, dass das Klima stimmt", weiß Kirch, und Hollinger pflichtet ihr bei: "Manche Sachen wie Tote umdrehen kann keinen Spaß machen, daher muss das Klima passen."

Später geht es wieder auf die Straße. Diesmal ohne konkreten Anlass. Ein Portugiese, der in Luxemburg zwei Obdachlose ermordet hat, soll Kontakte in die Saarbrücker Schwulenszene gehabt haben. Jetzt müssen sich die Saarbrücker an den einschlägigen Orten zur Amtshilfe für die Kollegen aus dem Großherzogtum umhören und fragen, ob jemand den Mann gesehen hat.

Mit dem Foto in der Hand geht es in die erste Szenekneipe. Dort heißt es klingeln, bevor aufgemacht wird. Drinnen ist es sehr dunkel. Und so verraucht, als sei seit Jahren nicht mehr gelüftet worden. Die Luft steht, Bässe wummern durch den Raum. Auf einem Fernseher läuft ein homosexueller Porno. Keiner der fünf Gäste kennt den Täter. Auch der junge Mann hinter dem Tresen mit dem hautengen T-Shirt nicht.

Dann geht es raus auf die Straße, die Kleider stinken. Weiter in ein plüschiges Bordell. Hier riecht es nach schwerem Parfüm, auch hier kein Erfolg. Als letztes geht es in eine schicke Kneipe. Moderne Ausstattung, die Tür geht auf, und am Tresen sitzt, einen Weißwein vor sich, Ottfried Fischer. Der Fernsehstar ist zum Drehen im Saarland. Er stiert die Ermittler 30 Sekunden lang geistlos an. Seine blonde Begleiterin sitzt vor einem leeren Sektglas. Sie ist neugierig und fragt, worum es geht. Hollinger meint: "Das müssten Sie doch wissen." Aber Fischer, der im TV den Kommissar spielt und Morde aufklärt, versteht nicht. Details verraten die Beamten nicht, es sei denn, es ginge um eine konkrete Gefährdung.

Wieder in der Einsatzzentrale sprechen die Beamten erneut über Leichen. "Lassen Sie mal 'nen Schwenker einen Tag in der Sonne liegen", sagt Finck zum Vergleich mit einer wochenlang gelegenen Leiche. "Und das da war ein ziemlich großer Schwenker", meint er trocken. Es klingt nicht pietätlos. Eher nach Selbstschutz. Hollinger betont: "Man kann nicht über jeden nachdenken. Sonst wirst du verrückt."

Polycarp Finck ist seit 34 Jahren bei der Polizei. "Der Respekt vor der Polizei ist gesunken. Das ist ein gesellschaftliches Problem. In den niedrigen Delikten ist es brutaler geworden", weiß der 53-Jährige. Er kann so verschmitzt lächeln. Jetzt ist er ernst. Das Schlimmste? Das sind Leichen von Babys, sagt er.

Fast jeden Tag gebe es einen Selbstmord. Über die Suizide führen sie keine Statistik. Die Angst vor der Schande. Gerade auf dem Dorf. Dahinter stecken menschliche Tragödien. "Bei Bahnleichen riecht es wie frisch geschlachtet", erinnert sich Finck. Er erzählt von versehentlichen Suiziden bei "autoerotischen Handlungen". Von Bildern des Grauens. Und Menschen, die in der Wohnung Schilder aufgehängt haben, auf denen "Hier geht's zur Leiche" steht. Oder auf denen fürsorglich steht, wer noch nie eine Leiche gesehen habe, solle jetzt umkehren und die Polizei verständigen. Zettel, auf denen sie ihre Frau um Verzeihung bitten.

Er erzählt von einem Ehepaar, das sich Auge in Auge aufgehängt hat. Es sind Menschen, die für jeden Fall Vorkehrungen getroffen haben. Und dann ihrem Leben ein Ende gesetzt haben. Messiewohnungen, Blasenbildung auf der Leiche, schwarze Köpfe, die Beamten der KDD haben schon alles gesehen. Kirch erzählt: "Im Bekanntenkreis sind die einen total abgeschreckt, die anderen neugierig." Mit dem Fernsehen sei das nicht vergleichbar. "Das ist unser täglich Brot", meint Kirch, während Hollinger es manchmal erschreckend findet, "dass es nicht erschreckend ist." Angst habe er nur vor Situationen, die entgleiten könnten.

Und wie hat der Beruf die Beamten verändert? Hollinger überlegt. Dann holt er tief Luft und sagt: "Ich möchte später verbrannt werden." "Man kann nicht über jeden nachdenken. Sonst wirst du verrückt."

Andreas Hollinger

Hintergrund

 Routine beim Kriminaldauerdienst (KDD): Pia Kirch nimmt die Fingerabdrücke einer verdächtigen Person.

Routine beim Kriminaldauerdienst (KDD): Pia Kirch nimmt die Fingerabdrücke einer verdächtigen Person.

Einsatzgebiet des Saarbrücker Kriminaldauerdienstes ist das ganze Saarland. Die Beamten des KDD rücken aus bei schweren Gewaltdelikten wie Mord, Vergewaltigung oder auch bei Drogenhandel, Tresordiebstahl und größerer Brandstiftung. Hat der Arzt bei Todesursache ungeklärt angekreuzt, müssen die KDD-Beamten die Leiche entkleiden, äußerlich untersuchen, Spuren sichern, mit Zeugen reden und auch die Todesnachricht an die Angehörigen überbringen. raps

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