"Theaterblut" schockt regelmäßig

Saarbrücken. Man freut sich auf den Theaterbesuch. Und dann das: Stau. Zehn Minuten zu spät. Die Türen sind bereits fest verschlossen. Gedämpft erreicht die Ouvertüre das Ohr des Abgehetzten. Und nun? Keine Panik - es gibt nämlich einen genauen Zeitplan, wann genau Nachzügler hereingelassen werden

Saarbrücken. Man freut sich auf den Theaterbesuch. Und dann das: Stau. Zehn Minuten zu spät. Die Türen sind bereits fest verschlossen. Gedämpft erreicht die Ouvertüre das Ohr des Abgehetzten. Und nun? Keine Panik - es gibt nämlich einen genauen Zeitplan, wann genau Nachzügler hereingelassen werden. Zuständig dafür sind, mit den Hostessen an den Türen, die drei Oberschließer Theresia Herrlein, Vera Naujoks und Michael Diener.

Wir haben uns einen Abend lang an ihre Fersen geheftet. Fürs Gespräch waren alle drei da - bei normalem Dienst wechseln sie sich ab. Heute hat Michael Dienst, und der beginnt wie immer um 18 Uhr. Zuerst schließt er alle Türen im Haus auf, vor allem auch die für die Fluchtwege, knipst die Lichter an. Dann teilt er die Hostessen für die Türen und die Damen für die Garderobe ein - der Plan hängt im Büro, ebenso wie alle Schlüssel. Er verteilt die Programmhefte an die Hostessen, die diese dann den Besuchern zum Kauf anbieten. Das alles muss schnell gehen, denn schon eine halbe Stunde später soll Michael die Haupt- und Nebeneingangstüren öffnen.

Noch tröpfeln die Besucher spärlich, doch schon kurz nach 19 Uhr summt und brummt es im Foyer und auf den Gängen wie in einem Bienenstock. Ständig will jemand etwas, Diener flitzt von hier nach da, damit alles reibungslos klappt. Um 19 Uhr gibt die Inspizientin dieses Abends grünes Licht für das Öffnen der Einlasstüren, so dass die Besucher nun ihre Plätze einnehmen können. Fünf Feuerwehrleute sorgen bei jeder Vorstellung für Sicherheit im Zuschauerraum, im Haus, auf der Bühne, erfährt man. In jeder Vorstellung ist auch ein Arzt da, er sitzt immer auf dem selben Platz. Wenn etwas passiert, muss der diensthabende Oberschließer ihn schnell rufen. "Das kommt öfter vor," erklärt Theresia Herrlein, "meist sind Stürze der Anlass, im Sommer Kreislaufprobleme, aber wir hatten noch nie etwas Ernstes." Bei "König Lear" sei der Arzt regelmäßig im Einsatz gewesen, erinnert sie sich, beim Augen-Ausstechen spritzte nämlich "Blut": "Da kippten bei fast jeder Vorstellung ein paar starke Männer um."

Während sie erzählt, kümmert sich Michael Diener um Rollstuhlfahrer, die mit dem Außenaufzug ins Haus kommen. Eine Dame steckt den Kopf in die Bürotür: "Wo bitte geht's zum zweiten Rang?" Und es gibt die erste Fundsache dieses Abends: einen Fächer. Auch um verloren gegangene Eintrittskarten kümmert sich der Oberschließer.

Kurz vor halb acht saust die Inspizientin Martina Krawulsky vorbei: "Alles okay!" Jetzt erst dürfen die Hostessen die Türen schließen, niemand kommt mehr hinein, die Vorstellung beginnt. Stille. Doch für die Oberschließer geht die Arbeit weiter: Löhne abrechnen, Dienstpläne erstellen, Einnahmen aus dem Verkauf der Programme verbuchen, Prospekte auffüllen. Und natürlich Nachzügler reinlassen - wenn das Lichtzeichen des Inspizienten aufleuchtet. Erst wenn nach der Vorstellung der letzte Zuschauer das Theater verlassen hat, geht auch der Oberschließer nach Hause - dann schließt er wirklich zu.

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