Stadtrat setzte das Geheimgutachten matt

Saarbrücken · Politiker hebelten zwei geheime Sparvorschläge aus, als die Vorschläge offiziell noch gar nicht existierten

 Geld macht nicht glücklich, sagt der Volksmund, aber es beruhigt. Ganz anders wirkte Saarbrückens geheimes Spargutachten.Foto: dpa

Geld macht nicht glücklich, sagt der Volksmund, aber es beruhigt. Ganz anders wirkte Saarbrückens geheimes Spargutachten.Foto: dpa

Auf ein Geheimgutachten berufen sich die rot-rot-grüne Stadtratsmehrheit und die Stadtverwaltung bei ihrem Plan, Grund- und Gewerbesteuer zu erhöhen. Die SZ warf einen Blick auf die Geschichte dieses Gutachtens und auf die Ereignisse, die es begleiteten.

Saarbrücken.
Im Januar 2009 gab das saarländische Innenministerium den Kölner Wirtschaftsprüfern Rödl&Partner (R&P) den Auftrag, ein Spargutachten für Saarbrücken aufzustellen. Die Kölner sollten Vorschläge machen, wo Saarbrücken sparen und/oder den Bürgern mehr Geld abnehmen könnte - um so für den Haushalt 2010 insgesamt rund 30 Millionen Euro zu gewinnen.

Das Gutachten sollte geheim bleiben. Nur bezahlt wurde es mit Steuern. Nicht einmal der Preis - nach SZ-Informationen rund 127 000 Euro - wurde veröffentlicht.

Im April 2009 - so erklärte das Innenministerium jetzt auf SZ-Anfrage - legten die Gutachter los, assistiert unter anderem von Oberbürgermeisterin (OB) Charlotte Britz und "leitenden Mitarbeitern der Stadt".

Durchgesickert

Doch schon im März 2009 kursierte eine Liste dessen, was R&P angeblich unter die Lupe nehmen würden. Laut dieser Liste wollten die Gutachter unter anderem prüfen, ob die Stadt tatsächlich 63 Stadtverordnete braucht und ob die Zuschüsse für die Fraktionen zu hoch sind.

Am 7. Juni folgte die Kommunalwahl. Und am 7. Juli erhöhten die neuen Ratsfraktionen von SPD, Linken, Grünen, CDU und FDP die jährlichen Zuschüsse für die Fraktionsarbeit um insgesamt 55 000 Euro.

Anfang Oktober gaben die Stadtratsfraktionen von SPD, Linken, Grünen und CDU den rund 1700 Bediensteten der Stadt eine Job- und Einkommensgarantie bis 2014. Vom Gutachten war in diesem Zusammenhang nicht die Rede.

Erst am 10. November - so sagt das Ministerium - lag die Endfassung des Gutachtens vor, sowohl im Ministerium als auch bei OB Britz. Ende November wurden folgende Sparvorschläge bekannt: bis 2013 in der Stadtverwaltung 114 Vollzeitstellen streichen, auch zwei Dezernenten, Filmhaus, Bäder, Sport- und Spielplätze dichtmachen, Dudweiler Sonderstatus kippen, Parkgebühren - sowie Grund- und Gewerbesteuer erhöhen. Damals warnte Britz vor dem Spar- und Einnahmenziel des Gutachtens von 30 Millionen Euro - damit werde Saarbrücken kaputtgespart. Und am 1. Dezember wählte die rot-rot-grüne Ratsmehrheit drei Dezernenten für zehn Jahre.

Am 8. Februar 2010 legte die Stadt eine eigene Spar- und Steuererhöhungsliste vor, die 16 Millionen bringen sollte; unter anderem durch Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuer sowie Schließung der Freibäder in Dudweiler und Fechingen. Letzteres trieb Bürger auf die Barrikaden. Darauf pfiff die rot-rot-grüne Ratsmehrheit die Stadtverwaltung zurück und kündigte an, sie werde die Bäder offen halten - aber die Steuererhöhung beschließen und dazu noch eine Bettensteuer für die Hoteliers.

Die Fraktionsvorsitzenden Peter Bauer, SPD, Rolf Linsler, Linke, und Thomas Brück, Grüne, begründeten unisono: "Das Defizit (im Stadthaushalt für 2010; Anm. der Red.) ist auf 120 Millionen Euro explodiert, weil die verheerenden Folgen der Finanzkrise nach unten weitergegeben werden. Das Sparpaket ist ein Akt der Notwehr."

Weiter behaupten Bauer, Linsler und Brück, "mit der Erhöhung von Gewerbe- und Grundsteuer" setze der Stadtrat "zentrale Forderungen des von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Haushaltsgutachtens um". Dagegen sei die Bettensteuer "eine kommunale Aufwandssteuer für Hoteliers, die davon profitieren, dass in Saarbrücken attraktive Infrastruktur vorgehalten wird".

Forderung oder Vorschlag?

Anders als Bauer, Linsler und Brück klassifiziert das Innenministerium die Ideen der Gutachter nach wie vor als Vorschläge, über die im Stadtrat entschieden wird - nicht als Forderungen. Nach SZ-Recherchen begründen die Gutachter ihren Vorschlag, Grund- und Gewerbesteuer zu erhöhen, nicht mit der Finanzkrise, sondern mit einem Vergleich der Steuerhebesätze in Saarbrücken, Mainz und Magdeburg - weil alle drei Landeshauptstädte sind und etwa gleich viele Einwohner haben.

Die SZ erkundigte sich im Ministerium, ob man dort mit einer solchen Begründung in einem 127 000-Euro-Gutachten zufrieden ist. Antwort: "Das Ministerium enthält sich einer öffentlichen Bewertung."

Meinung

James Bond oder Nostradamus

Von SZ-Redakteur Jörg Laskowski

Ein Fall für James Bond? Eine hellseherische Meisterleistung à la Nostradamus? Oder einfach ein Armutszeugnis für Politiker in Stadt und Land? Kapitel eins: Das Land spendiert ein Geheimgutachten. Die Öffentlichkeit weiß nichts. Doch einige Leute, die von den Spar-Vorschlägen des Gutachtens betroffen sind - beispielsweise die Ratsfraktionen und der Personalrat der Stadt - riechen den Braten. Noch bevor irgendjemand offiziell weiß, was im Gutachten stehen wird, werden die Fraktionszuschüsse erhöht, bekommen die Bediensteten der Stadt eine Job- und Einkommensgarantie und die rot-rot-grüne Ratsmehrheit beschert sich drei Dezernenten. Kapitel zwei: Die Stadtverwaltung macht den schmerzhaften Sparvorschlag, zwei Freibäder zu schließen. Doch die rot-rot-grüne Ratsmehrheit will sich nicht unbeliebt machen und schmettert den Vorschlag ab. Was bleibt? Grund- und Gewerbesteuer erhöhen. Vielleicht mit folgendem Hintergedanken: Das trifft alle ein "bisschen" und wird folglich als lange nicht so ungerecht empfunden. Falls doch - Schuld abschieben. Am besten sagen: Wir wurden gezwungen. Daher in Kapitel drei behaupten: Das Gutachten hat die Steuererhöhung gefordert. Wohl wissend, dass da eigentlich nur Vorschläge drin standen. Und weil Rot-Rot-Grün jetzt das Gutachten - als Schuldigen - braucht, wird das Gutachten auch nicht in Frage gestellt. Obwohl das Gutachten schräg ist. Es stützt seinen Vorschlag zur Steuererhöhung nur auf den Vergleich von Hebesatz-Zahlen in Saarbrücken, Mainz und Magdeburg. Logik des Gutachtens: Das sind drei etwa gleich große Landeshauptstädte. Die Hebesätze in Saarbrücken sind niedriger. Also kann man die ruhig erhöhen. Aber das ist Quatsch. Grund- und Gewerbesteuer sollten nie isoliert betrachtet werden. Sie sind nur Teile eines Nebenkostenblocks, zu dem auch die Gebühren und Preise für Abwasser, Wasser und Müll gehören. Und da sind Mainz und Magdeburg teilweise erheblich billiger als Saarbrücken. Wer das außer Acht lässt, stellt ein schlechtes Gutachten auf. Eine Landesregierung, die für ein solches Gutachten 127 000 Euro ausgibt, braucht Hilfe. - Oder ist das Gutachten nur "geheim", weil es eigentlich larifari ist?

Gutachter verglichen Steuern in Saarbrücken, Mainz, Magdeburg

Bei anderen Nebenkosten - wie beim Wasserpreis und den Gebühren für Abwasser und Müll - liegen die drei Städte weit auseinander

Der Vorschlag des Spargutachtens, in Saarbrücken Grund- und Gewerbesteuer zu erhöhen, stützt sich nach SZ-Informationen einzig und allein auf einen Vergleich der Steuerhebesätze von Saarbrücken, Mainz und Magdeburg.

Saarbrücken.
Der Saarbrücker Grundsteuer-Hebesatz liegt derzeit bei 430, der Gewerbesteuer-Hebesatz bei 428. Die rot-rot-grüne Stadtratsmehrheit und die Stadtverwaltung wollen den Grundsteuer-Hebesatz auf 460 und den Gewerbesteuersatz auf 450 erhöhen. Der Mainzer Grundsteuer-Hebesatz beträgt 400, der Gewerbesteuersatz 440. In Magdeburg liegen beide Hebesätze bei 450.

Bei anderen Nebenkosten sind die drei Städte allerdings weiter auseinander. Der Kubikmeter Abwasser kostet in Saarbrücken 3,22 Euro, in Mainz 1,25 Euro, in Magdeburg 3 Euro. Der Kubikmeter Frischwasser kostet in Saarbrücken 2,05 Euro, in Mainz 2,13 Euro, in Magdeburg 1,81 Euro.

Saarbrücker Müll teurer

Im ersten bundesweiten Müllgebührenvergleich, organisiert von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, rangiert Saarbrücken auf Rang 72 (überdurchschnittlich teuer), Mainz auf Rang 49 (durchschnittlich) und Magdeburg auf Rang 5 (eine der fünf billigsten Müllabfuhren).

Die Erhöhung des Saarbrücker Grundsteuer-Hebesatzes auf 460 soll der Stadt jährlich rund 2,3 Millionen Euro mehr bringen. Für die Bürger - für Eigentümer wie Mieter - erhöhen sich dadurch die Nebenkosten beispielsweise für eine Drei-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung mit 75 Quadratmetern auf der Folsterhöhe um jährlich rund zehn Euro, für ein Einfamilienhaus in Dudweiler um jährlich rund elf Euro.

Die Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes auf 450 soll pro Jahr zusätzlich rund 5,5 Millionen Euro bringen. Wer bisher 200 Euro Gewerbesteuer zahlte, muss dann mit 210 Euro rechnen, wer 10 000 Euro bezahlte, muss sich auf 10 514 Euro gefasst machen. - Nach Kalkulation der Gutachter hätte die Stadt jährlich rund 380 000 Euro gespart , wenn sie zwei Dezernate gestrichen hätte.

Hauptkritikpunkt der Stadt am Spargutachten ist die Tatsache, dass dort nicht untersucht wird, ob das Land seiner Hauptstadt auch wirklich so viel Geld zukommen lässt, wie ihr zusteht. Denn das - so meint Oberbürgermeisterin Charlotte Britz - ist nicht der Fall. Immer wieder weist Britz darauf hin, dass die Regionalverbandsumlage (Geld, das Saarbrücken jährlich an den Regionalverband weiterreicht) von 40,7 Millionen Euro im Jahr 1991 auf rund 128 Millionen Euro im Jahr 2010 gestiegen ist. In derselben Zeit sind die Schlüsselzuweisungen (Geld, das vom Land an die Stadt weitergereicht wird) von 52 auf 41,8 Millionen Euro gesunken. Durch diese Entwicklung muss Saarbrücken allein im Jahr 2010 rund 97 Millionen Euro mehr für die Regionalverbandsumlage aufbringen als 1991. fitz

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