Stadt im Kampf mit Blechlawinen

Saarbrücken · Verkehrsplanung ist für viele Saarbrücker ein Reizthema. Kein Wunder. Die Stadt hat eine extrem hohe Pendlerquote – offiziell rund 66 Prozent. Das sorgt für Blechlawinen. Mehrere Vorschläge für Umgehungsstraßen machten in den letzten Jahren Furore. Die SZ fasst die wichtigsten Aspekte der Diskussion zusammen.

 Stau auf der Wilhelm-Heinrich-Brücke – dem Herzstück des Saarbrücker Straßennetzes. Foto: Becker&Bredel

Stau auf der Wilhelm-Heinrich-Brücke – dem Herzstück des Saarbrücker Straßennetzes. Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel

Rekord fürs Saarland und ein Spitzenwert in der Republik: Jeden Werktag kommen morgens rund 110 000 Menschen nach Saarbrücken , um Geld zu verdienen oder um zu lernen. Knapp 20 000 verlassen die Stadt, um außerhalb zu arbeiten. Abends dasselbe umgekehrt. Und die meisten pendeln im Auto. Konsequenz: In keiner anderen Stadt des Landes wäre ein Verkehrsinfarkt so fatal wie in Saarbrücken .

Bereits mehrfach berichtete die SZ darüber, dass zwar das ganze Land von den Arbeitsplätzen in Saarbrücken profitiert, dass aber die Stadt vom Land nur unzureichend unterstützt wird, wenn es darum geht, die Straßen zu diesen Arbeitsplätzen in Schuss zu halten. Also werden Saarbrückens Straßen - aus Geldmangel - allmählich immer schlechter.

Autobahnen verbinden

Gleichzeitig gibt es immer wieder Diskussionen darüber, ob die Stadt nicht dringend neue Entlastungsstraßen braucht, beispielsweise eine Achse durchs Deutschmühlental oder eine sogenannte Autobahnverschwenkung.

Die SZ fragte Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer, welches die größten Verkehrsströme sind, mit denen Saarbrücken fertig werden muss, wann, woher und wohin die Autos rollen und wann wieder zurück - und warum die vieldiskutierten Entlastungsstraßen (noch) nicht gebaut werden.

Die größte Blechlawine sind die rund 30 000 Autos, die jeden Werktag auf der Autobahn A 620 aus Richtung Völklingen anrollen - 23 000 haben ein Ziel in Saarbrücken , 7000 fahren durch.

Lawine zwei sind die rund 22 600 Autos, die auf der Autobahn A 6 aus Richtung St. Ingbert kommen - 13 800 wollen in die Stadt, 8800 fahren weiter. Aus der Gegenrichtung von der Goldenen Bremm sind es rund 9700 Autos - 4700 wollen in die Stadt, 5000 rollen durch.Weder umlenken noch teilen

Rund 19 000 Autos bringt die A 623 aus Richtung Sulzbach - 16 900 haben ein Ziel in Saarbrücken , 2100 fahren weiter.

Auf der Bundesstraße B 51 rollen aus Richtung Kleinblittersdorf rund 14 000 Autos an - 9600 bleiben in der Stadt, 4400 fahren durch. Und auf der A 1 kommen 11 500 Autos - 10 000 bleiben, 1500 rollen durch.

Bei all diesen Blechlawinen gilt: Morgens zwischen 7 und 8 Uhr erreichen die meisten Einpendler die Stadt, abends zwischen 17 und 18 Uhr streben die meisten wieder nach Hause. Deshalb sind in diesen beiden Stunden jeweils bis zu neun Prozent des gesamten Tagesverkehrs unterwegs.

Die Ziele der Einpendler - so erläutert das Baudezernat - "sind dispers über das Stadtgebiet verteilt".

Um die Autos "so verträglich wie möglich" durch die Stadt zu lotsen, würden "die großen Verkehrsströme so lange wie möglich auf anbaufreien Straßen geführt (z. B. auf den Autobahnen)". Umlenken oder splitten will die Stadt diese Verkehrsströme nicht. Das hieße nur, die Probleme zu verlagern - einzige sinnvolle Alternative sei es, wenn die Einpendler auf Bus und Bahn umsteigen.

Die SZ fragte: Warum kämpft die Stadt nicht dafür, dass außerhalb des Stadtgebietes Verbindungen zwischen A 1 und A 623 sowie zwischen A 1 und A 620 gebaut werden? Die würden Burbach und Malstatt von vielen Autos entlasten, die nur von Autobahn zu Autobahn wollen.

Als Antwort erläuterte das Baudezernat, wie in Berlin ein Bundesverkehrswegeplan entsteht, und beteuerte, Saarbrücken könne "diesem Verfahren nicht vorgreifen". Ob die Stadt kämpft, blieb offen.

Nicht nötig ist - laut Baudezernat - eine neue Verbindung zwischen A 6 und A 620 durchs Deutschmühlental. Denn dort könne man ja "bereits heute" die Landesstraße L 273 "zur Umfahrung des Innenstadtbereiches" benutzen. Die Stadt werde diese Straße zwar demnächst "umplanen", aber nur um "das Hotel- und Casinoumfeld besser einzubinden" - denn die Stadt sei auch nur bis dorthin zuständig für die L 273. Zwischen Hotel und Grenze sei die L 273 Sache des Landes.

Dagegen wäre eine sogenannte Nordtangente, also eine Verbindung zwischen Ost- und Westspange durch eine Hauptstraße nördlich der City, ausschließlich Sache der Stadt. Das Baudezernat versicherte, eine Nordtangente sei bereits in "zahlreichen Varianten" durchdacht.

Nordtangente nutzlos

Ergebnis: Sie würde "vor allem die parallel laufende A 620" entlasten - aber kaum die "innerstädtischen Straßen". Während der Bau extrem aufwendig wäre, vor allem am Ludwigsbergkreisel und an den Gleisen zwischen Hauptbahnhof und Güterbahnhof. Daher will das Dezernat nun überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, nur Abschnitte bereits bestehender Straßen auszubauen.

Meinung:

Ruck, zuck sieht der Bürger rot

Von SZ-RedakteurJörg Laskowski

Hoch schlugen die Wellen, als das Baudezernat vor ein paar Monaten ankündigte, dass auf der Wilhelm-Heinrich-Brücke zwei Autospuren durch Fahrradspuren ersetzt werden. Beim Thema Verkehr sind die Saarbrücker ruck, zuck auf der Palme. Entsprechend vorsichtig hat das Dezernat die SZ-Anfrage beantwortet. Verdächtig vorsichtig. Das riecht schon nach Abwiegeln. Oder ist das nur Einfallslosigkeit? Es ist ja noch verständlich, wenn wir da erfahren, dass unsere vielgescholtenen Autobahnen eigentlich super praktisch sind. Die Autos rollen rein und werden - "dispers" - über die ganze Stadt verteilt. Schön. Aber es klingt reichlich schlapp, wenn die SZ fragt, ob Verkehrsströme umgelenkt oder gesplittet werden sollen und die Stadt erklärt - grob vereinfacht: Nee, das lassen wir alles so. Da würde nur ein Übel durch ein anderes ersetzt. Lieber sollen alle auf Bus und Bahn umsteigen. Auweia. Ja, klar, das wär' schön. Ist aber völlig unrealistisch. Und vollends seltsam wirkt die Antwort auf die SZ-Frage, ob die Stadt für eine "Autobahnverschwenkung" kämpft. Darauf erklärt uns das Dezernat, wie der Bundesverkehrswegeplan entsteht und sagt: Dem können wir nicht vorgreifen. Ja, darum geht's nicht. Wir wollten wissen, ob die Stadt für ihre Bürger kämpft.

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