Sprengsatz für die Saar-Haushalte

Saarbrücken · Die Sozialausgaben vor allem für arme, alte Menschen schnellen dramatisch in die Höhe. Städte und Gemeinden im Saarland werden beim Sparen so mitunter auf einen Schlag um mehrere Jahre zurückgeworfen.

Sprengsatz für die Saar-Haushalte
Foto: Boris Roessler (dpa)

Für viele Bürgermeister ist die Sache schier zum Verzweifeln. Sie kürzen Zuschüsse, streichen Personal, erhöhen Gebühren, schließen vielleicht sogar ein Schwimmbad - und im nächsten Jahr frisst der Anstieg der Kreisumlage alles wieder auf. Die Bürgermeister im Kreis Neunkirchen klagten 2015, sie seien in ihren Sparbemühungen auf einen Schlag um Jahre zurückgeworfen worden.

Nun ist es nicht so, dass die Landkreise das Geld der Kommunen zum Fenster rauswerfen. 70 bis 80 Prozent ihrer Ausgaben sind Sozialleistungen , deren Höhe sie gar nicht festlegen, das tut der Bund. Und diese Sozialausgaben steigen immer weiter, vor allem weil immer mehr alte Menschen arm sind. Bezahlen müssen das die Städte und Gemeinden per Kreisumlage, die heute bereits rund ein Viertel ihrer Ausgaben ausmacht.

Der Sozialexperte Peter Hötger fürchtet dramatische Folgen für die kommunalen Haushalte im Saarland. "Über die Dynamik will keiner gerne reden", sagt Hötger. Sozialpolitik sei "bei Wahlen kein Gewinner-Thema", und in der Landes- und Kommunalpolitik herrsche wohl der Eindruck vor, dass man an der Entwicklung ohnehin nichts ändern könne. Hötger war zehn Jahre lang Sozialdezernent der Stadt Völklingen, er beriet anschließend die Landesregierung bei der Umsetzung der Hartz-Gesetze und die CDU-Landtagsfraktion .

Besonders deutlich steigen die Kosten bei der Hilfe zur Pflege (siehe Grafik). Sie wird an pflegebedürftige Menschen gezahlt, deren Einkommen und Pflegeversicherung nicht ausreichen, um zum Beispiel einen Heimplatz zu bezahlen. Die entsprechenden Ausgaben der Kommunen sind seit dem Jahr 2006 um 122 Prozent gestiegen. Hötger fürchtet für die nächsten 15 bis 20 Jahre eine weitere Verdopplung, wenn nicht sogar eine Verdreifachung der Ausgaben. "Das ist ein Sprengsatz für die kommunalen Haushalte", sagt er. Verhindert werden könne dies nur mit höheren Beiträgen zur Pflegeversicherung .

Wie dramatisch die Situation heute schon ist, zeigt folgende Rechnung: Den Saar-Kommunen fehlen laut einem Gutachten rund 160 Millionen Euro im Jahr. Mit Personalabbau, höheren Gebühren und Steuern sowie finanzieller Hilfe des Landes sollen sie dieses Defizit bis 2024 schrittweise auf null senken. Schon in einer Protokollnotiz zum Kommunalpakt, den das Land und die Kommunen 2015 geschlossen hatten, warnten die Bürgermeister, schuldenfreie Haushalte seien bei einem Anstieg der Kreisumlage nicht erreichbar. Folgt man Hötgers Prognose, dann wären auf absehbare Zeit allein bei der Hilfe zur Pflege Mehrkosten von über 100 Millionen zu befürchten. An einen Erfolg des Kommunalpakts wäre dann gar nicht mehr zu denken, sagt Hötger.

Die Landräte und Bürgermeister im Saarland sehen den Bund in der Pflicht. Der übernimmt seit 2014 zwar die Grundsicherung für Menschen, deren Rente zum Lebensunterhalt nicht ausreicht - im Saarland ist diese Zahl seit 2010 um 31 Prozent gestiegen. Dieses Entgegenkommen des Bundes reicht den Verwaltungschefs aber bei weitem nicht aus. Der Neunkircher OB Jürgen Fried (SPD ) findet die Kostenverteilung "unmöglich": Um die immer stärker steigenden Sozialkosten für die Schwachen zu bezahlen, müsse er Ausgaben kürzen, die der Allgemeinheit zugute kämen: Investitionen, aber auch freiwillige Leistungen für Kultur oder Sport. "Das System ist nicht in Ordnung", sagt Fried, eigentlich sei es "eine Riesensauerei".

Die explodierenden Sozialausgaben sind nach Ansicht der Praktiker vor allem eine Folge der Reformpolitik vergangener Jahre, insbesondere der Rentenreform von 2002, mit der das Rentenniveau abgesenkt wurde, um die Rentenbeiträge stabil zu halten. "Diese Rentenreform schlägt jetzt bei der Grundsicherung im Alter und bei der Hilfe zur Pflege auf, das muss man so deutlich sagen", sagt der Geschäftsführer des Landkreistages, Martin Luckas. Es gebe auch immer mehr Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien, die nicht privat fürs Alter vorsorgen könnten.

Bei der Jugendhilfe stagnieren laut Hötger inzwischen zwar die Ausgaben für ambulante Hilfen und die Unterbringung in Heimen - da hätten sich die Landkreise "enorm bemüht". Dafür müsse mehr Geld in den Kita-Ausbau, vor allem auch in längere Öffnungszeiten etwa für Kinder von Schichtarbeitern, gesteckt werden. Zudem gebe es immer mehr Eltern, die nicht genügend Geld hätten, um die Kita-Beiträge zu bezahlen, vor allem die wachsende Gruppe der Alleinerziehenden.

Schließlich werde der Flüchtlingszustrom dazu führen, dass die sogenannten Kosten der Unterkunft (KdU) deutlich steigen; Anspruch darauf haben Hartz-IV-Bezieher. Sobald Flüchtlinge eine Asylberechtigung haben, fallen sie in Hartz IV, zuständig sind dann die Kreise und der Regionalverband. "Da kommt noch einiges auf uns zu", sagt Hötger. Der Bund trägt nur rund ein Drittel der KdU-Ausgaben. Für 2016 erwarten die Landkreise hier zusätzliche Ausgaben von rund 25 Millionen Euro.

Besonders belastet mit Sozialausgaben sind der Regionalverband Saarbrücken und der Landkreis Neunkirchen - eine Folge der dortigen Sozialstruktur, insbesondere in den Städten. Beim Sparen drohe den dortigen Kommunen daher eine "Vergeblichkeitsfalle", warnt Hötger: Wegen der steigenden Sozialausgaben könnten sie auch mit einem noch so harten Sparkurs keinen ausgeglichenen Haushalt erreichen. Die Landesregierung müsse dieses Ungleichgewicht endlich anerkennen und beseitigen. Hötger schlägt vor, jene 60 Millionen Euro, die ab 2018 aus Berlin jährlich zur Entlastung der Kommunen ins Saarland fließen, auf den Regionalverband und den Kreis Neunkirchen zu konzentrieren - auch wenn es aus anderen Landesteilen dann heftige Proteste geben werde.

Meinung:Ein einziger Irrsinn

Von SZ-Redakteur Daniel Kirch

Die Städte und Gemeinden haben das Rentenniveau nicht gesenkt und sie haben nicht entschieden, Hunderttausende Flüchtlinge ins Land zu lassen. Aber woher sie das Geld für die Sozialleistungen nehmen, die in der Folge fällig werden, sollen sie selbst sehen. Die Kommunen werden, weil ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, Personal und Infrastruktur abbauen, ihre Straßen noch mehr verlottern lassen und noch mehr Schulden machen - während der Bund glänzend dasteht und sich der Bundesfinanzminister für seine schwarze Null feiern lässt.

Nichts gegen einen ausgeglichenen Haushalt, im Gegenteil. Aber dieses System ist ein einziger Irrsinn. Wenn der Bund eine weitreichende sozial- oder gesellschaftspolitische Entscheidung wie bei der Rente trifft, muss er ihre Folgen auch finanziell ausbaden - notfalls mit höheren Steuern für jene, denen das im Zweifel ohnehin nicht viel ausmacht.

Das wäre alles besser, als die ohnehin beladenen Kommunen immer weiter in den finanziellen Ruin zu treiben - und die ehrenamtlichen Ratsmitglieder in die Frustration.

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