Spekulationen um Lafontaine

Saarbrücken · Was wird aus der Linken, wenn Oskar Lafontaine 2017 nicht mehr kandidiert? Die Frage stellen sich viele in der Partei. Ob der 72-Jährige bei der Landtagswahl noch einmal antritt, hat auch Folgen für andere Parteien.

 Oskar Lafontaine will die Entscheidung treffen, „wenn die Frage ansteht“. Foto: Becker&Bredel

Oskar Lafontaine will die Entscheidung treffen, „wenn die Frage ansteht“. Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel

Oskar Lafontaine war voller Tatendrang. Bei der Feier seines 60. Geburtstages im Herbst 2003, als er bereits auf ein politisches Comeback lauerte, tönte er: "Ich fühle mich wie ein alter Schlachtgaul: Wenn ich die Trompete höre, fange ich an, unruhig zu werden." Mittlerweile ist Lafontaine 72. Wie er heutzutage reagiert, wenn er die Trompete hört, ist nicht ganz klar. Was er politisch noch vorhat im Leben, dazu schweigt er bislang.

Bevor die Linke in der zweiten Jahreshälfte ihre Listen für die Landtagswahl im Frühjahr 2017 aufstellt, wird Lafontaine sagen müssen, ob er noch einmal kandidiert oder ob er seine seit 1974 andauernde Karriere als Berufspolitiker beendet. "Ich entscheide das, wenn die Frage ansteht", sagte er. Es dürfte die interessanteste landespolitische Entscheidung des Jahres werden.

Lafontaines Schweigen lädt zu Spekulationen ein. Der Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze, ein innerparteilicher Kontrahent, ist sich "ziemlich sicher", dass Lafontaine bei guter Gesundheit im Jahr 2017 erneut antreten wird. "Er ist keiner, der sich die Landespolitik vom Schaukelstuhl aus ansieht." Andererseits ist bekannt, dass Lafontaine zuweilen mit dem Zustand seiner Partei im Saarland hadert; in einem SZ-Interview klagte er 2015 über "eine Reihe von Mitgliedern (…), die etwas schwierig sind". Wie würde sich Lafontaine wohl verhalten, wenn solche Mitglieder es auf vordere Listenplätze schaffen? In der Linken wird auch darauf hingewiesen, dass sein Vertrauter Heinz Bierbaum (69), der für Lafontaine die Fraktion managt, 2017 wohl aufhören wird. Und schließlich fragen Funktionäre: Was bedeutet Sahra Wagenknechts neuer Job als Fraktionschefin im Bundestag für ihren Ehemann? Es wird wild spekuliert, Lafontaine könne nach Berlin gehen, um sie von dort aus besser zu unterstützen.

Was treibt jemanden, der schon einmal Ministerpräsident, Bundesvorsitzender von SPD und Linken und Bundesfinanzminister war, überhaupt noch an, in der Politik eines kleinen Landes zu bleiben? Gregor Gysi , mit dem er einst die Linke aufbaute und sich später überwarf, sagte dem "Spiegel": "Wer einmal SPD-Vorsitzender war, muss offenbar ständig rechtfertigen, dass es richtig war, die eigene Partei verlassen zu haben. Deshalb kann er nicht aufhören. Er muss sich immer weiter etwas beweisen." Lutze vermutet hingegen eher emotionale Gründe: Was im Saarland passiere, bewege den früheren SPD-Ministerpräsidenten (1985-1998) mehr als die Bundespolitik.

Doch auch in die Bundes- und die Weltpolitik mischt sich Lafontaine allzu gerne ein. Auf Facebook bezeichnete er US-Präsident Barack Obama als "Kriegsverbrecher und Drohnenmörder", die Griechenland-Hilfen als "große Volksverarschung", und als der amerikanische Verteidigungsminister nach Berlin kam, schrieb er "Fuck the US", was er wenig später in "Fuck the US-Imperialism!" änderte. Einen Kommentar in der SZ über Angela Merkels Flüchtlingspolitik kommentierte er mit den Worten: "Die Dummheit schlägt Salto." Seine Beiträge, die er nach Angaben eines Sprechers selbst verfasst, werden hundertfach geteilt. Auf seinem Smartphone beobachtet Lafontaine genau die Reaktionen.

Lafontaines Bedeutung für die Linke im Saarland ist kaum zu überschätzen, auch wenn seine Autorität nicht mehr so groß ist wie noch vor Jahren. Lutze sagt: "Die Linke im Saarland wird ein Problem haben, wenn Oskar Lafontaine aufhört." Bei den Landtagswahlen 2009 und 2012 - das zeigen Wahlanalysen - gaben mehr als 40 Prozent der Linken-Wähler der Partei ihre Stimme wegen Lafontaine. Auch dass die Linke bei Arbeitern und Arbeitslosen sensationelle Ergebnisse einfuhr (siehe Grafik), wäre ohne Lafontaine undenkbar. Gerade die Mischung aus einer Begrenzung der Zuwanderung und dem Ausbau des Sozialstaats ist für diese Klientel attraktiv. Lafontaine hat damit in der aktuellen Flüchtlingskrise ein Alleinstellungsmerkmal.

Wie groß das Potenzial der Linken im Saarland ohne Oskar Lafontaine ist, hat die Bundestagswahl 2013 gezeigt, als er sich aus dem Wahlkampf heraushielt: Damals kam sie auf 10,0 Prozent - die Hälfte früherer Ergebnisse. Lutze schätzt, dass die Linke 2017 im Saarland ohne Lafontaine - je nach Bundestrend - zwischen 5 und 10 Prozent erreichen würde, mit Lafontaine dagegen 10 bis 15 Prozent.

Die anderen Parteien, die für die Landtagswahl 2017 fest mit weiteren Verlusten der Linken rechnen, grübeln bereits darüber, was das für sie und mögliche Mehrheiten bedeutet. Die Vorstellung, der Großteil enttäuschter Linken-Wähler werde wie selbstverständlich zur SPD abwandern, ist jedenfalls falsch: Von den 36 000 Wählern, die die Linke bei der Landtagswahl 2012 im Vergleich zu 2009 verlor, wechselte knapp die Hälfte ins Nichtwähler-Lager - nicht einmal jeder Fünfte ging zu Lafontaines früherer Partei SPD .

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