So werden aus Wählerstimmen Landtagssitze

Saarbrücken · Dass das Jamaika-Bündnis seinen Koalitionsvertrag nicht mehr abarbeiten konnte, kostet die Grünen nach der Wahl einen Sitz im Landtag. Denn in dem Werk war eine Änderung des Wahlrechts vorgesehen.

Saarbrücken. Die Grünen haben seit Sonntag noch einen Grund mehr, das schnelle Ende der Jamaika-Koalition zu verfluchen. Zwar ist die Freude groß, dass sie die Fünf-Prozent-Hürde knapp genommen haben und mit zwei Abgeordneten im neuen Landtag vertreten sind. Aber wäre die Koalition erst ein paar Tage später in die Brüche gegangen, hätten die Grünen mit ihren 24 248 Wählerstimmen jetzt drei Sitze - und die SPD nur 16 statt 17. Das hängt mit dem Verfahren zusammen, wie Wählerstimmen in Mandate umgerechnet werden. Die Jamaika-Koalition hatte 2009 in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dieses Verfahren zu ändern; die Neuregelung hätte die kleinen Parteien begünstigt. Der Gesetzentwurf war bereits im Innenausschuss beraten, die Abstimmung im Landtag stand bevor. Dann kam das Aus für Jamaika - und damit für die Gesetzesänderung.Bundesweit gibt es mehrere Rechenverfahren. Die bekanntesten sind das Hare-Niemeyer- und das d'Hondt-Verfahren. Das nach dem englischen Rechtsanwalt Thomas Hare und dem Aachener Professor Horst Niemeyer benannte simple Proporzsystem - der Anteil einer Partei an den zu vergebenden Mandaten entspricht ihrem Stimmenanteil - setzt die Stimmen nach Ansicht von Experten gerechter in Sitze um als das d'Hondt-Verfahren, das die großen Parteien eher begünstigt und die kleinen benachteiligt. Die Berechnung nach d'Hondt, einem belgischen Mathematiker, ist weitaus komplizierter (siehe Infografik). Sie wurde im Saarland 1988 eingeführt.

Nach der Landtagswahl 2009 hatten FDP und Grünen die Umstellung des Verfahrens auf Hare-Niemeyer in den Jamaika-Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Die künftigen Koalitionspartner CDU und SPD allerdings haben kein Interesse an einer Umstellung, die bei der nächsten Wahl die kleineren Oppositionsparteien begünstigen würde.

Die Argumente für und gegen dieses oder jenes Verfahren verpacken Politiker gerne in wissenschaftliche Begründungen. Die Jamaika-Koalition wollte mit der Reform "den Grundsatz der Gleichheit der Wahl" besser umsetzen und verwies auch darauf, dass d'Hondt nur noch in zwei anderen Bundesländern gilt. "Es gibt für beides eine Möglichkeit der Begründung", räumte der SPD-Parlamentarier Leo Stefan Schmitt bei der Wahlgesetz-Reform 1988 offen ein. "Nur ist im Grunde genommen die einzige, wahre Begründung einfach die, dass die politischen Mehrheiten hier eine Rolle spielen." Politikwissenschaftler weisen daher darauf hin, dass Wahlgesetze häufig im Zusammenhang mit den Interessen der jeweiligen Mehrheit entstehen.

Das zeigen auch die Beispiele im Saarland: Die vorerst letzten Änderungen beschloss der saarländische Landtag 1979 und 1988. Vier Monate vor der Landtagswahl 1980 beschloss die damalige CDU/FDP-Koalition das Hare-Niemeyer-Verfahren - das die FDP bei der Sitzverteilung begünstigte. Die SPD witterte einen "Kuhhandel": Denn die CDU habe die Änderung des Wahlgesetzes im Landtag zuliebe der Liberalen just einen Tag nach dem Parteitag der FDP beantragt, bei dem diese eine Koalitionsaussage zugunsten der CDU beschlossen habe.

Nachdem die SPD 1985 knapp die absolute Mehrheit der Landtagssitze gewonnen hatte, drehten die Sozialdemokraten das Rad drei Jahre später wieder zurück, seither d'Hondt. Die CDU rügte damals "machtpolitisches Kalkül" der Genossen, die FDP schimpfte über "eine parteitaktische Manipulation am gelten Wahlrecht".

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