So tolerant sind die Saarländer beim Sex

Saarbrücken · Die Saarbrücker Zeitung begleitet auch in diesem Jahr wieder die ARD/SR-Themenwoche mit eigenen Beiträgen. Dieses Mal lautet das Thema „Toleranz“. Im heutigen Teil der Serie geht es um sexuelle Vorlieben und Orientierungen.

Das geschwungene Messingbett könnte glatt von Ikea sein. Der Lederbock mitten im Zimmer dagegen bestimmt nicht. Kerzenlicht, dunkelrote Wände, Spiegel und eine Lederschaukel dominieren den Raum - der selbst dazu bestimmt ist, dass darin Menschen dominiert werden. Der sogenannte Freiraum, verborgen in einem unscheinbaren Mietshaus in Alt-Saarbrücken, ist ein Appartement, in dem sich BDSMer ausleben. Die Abkürzung BDSM steht für sexuelle Spielarten, die mit Macht, Unterwerfung, Fesselung und Schmerz zu tun haben. Diese Vorliebe löst in der Gesellschaft oft Unbehagen, Unverständnis und Spott aus - nicht unbedingt Toleranz.

Manche Menschen im Saarland leben (und lieben) aber nicht nur das Spiel mit Macht und Lustschmerz - sondern durchaus noch weitere sexuelle Freiheiten. Ein paar Klicks auf dem Online-Erotikportal joyclub.de verraten, dass es im Saarland neben Tantra-Studios für spirituell geprägte, erotische Massagen auch mehrere private Swingerclubs gibt (Swingen: Sex mit verschiedenen Partnern, oft kombiniert mit Partnertausch oder zu mehreren). Dort laufen Partys unter Mottos wie FKK, Crossdressing (das Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts) und Gangbang (Gruppensex mit aktiven Teilnehmern in der Überzahl).

Doch diese Freizügigkeit stößt nicht nur bei Außenstehenden mitunter auf Irritationen. Wird sie ausgelebt, lauern in der scheinbaren Freiheit so manche Regeln und Einschränkungen, wie der Saarbrücker Psychologe und Sexualtherapeut Michael Sztenc erklärt: "Paare wollen mit einem Besuch im Swingerclub oft aus ihrem sexuellem Alltagstrott ausbrechen. Vordergründig herrschen dort Toleranz und Offenheit. Paar-intern sieht's oft anders aus: Eifersucht oder Konkurrenzdenken kann aufkommen. Viele Paare machen sich deshalb eigene Regeln - zum Beispiel kein Küssen mit Fremden."

Tanja Tobä, seit zwölf Jahren Chefin im Swingerclub Liberty-Rose in Bildstock, findet, jeder solle seine Sexualität frei ausleben dürfen - solange es im rechtlichen Rahmen bleibt. Aus ihrer Praxis-Erfahrung berichtet sie aber auch von Sprüngen in der Toleranz: "Homo- und Bisexuelle rufen auch heute noch Vorurteile hervor. Damenwäsche-Träger lösen im Club oft Blicke und Tuscheln aus. Doch das legt sich schnell. Meine Gäste gehen dann ganz normal miteinander um." Außerhalb des Swingerclubs haben Tobä und ihre Familie mit Diskriminierung kämpfen müssen, sagt sie: "Meine Kinder wurden in der Grundschule gemobbt. Ich habe dann eine Schule gefunden, wo die Menschen toleranter mit meiner Arbeit umgehen. Ich schäme mich nicht für meinen Beruf, gehe aber auch nicht damit hausieren."

Ein offeneres Bild vom Saarland mit größerer Akzeptanz zeichnet dagegen Markus Dräger, Inhaber des Saarbrücker Erotik-Shops Eromed. Seit 2013 vermietet er den BDSM-Freiraum und hat im Juli wegen großem Zulauf einen zweiten eröffnet. Dräger erzählt: "Deutschlandweit gibt es etwa 50 solcher Wohnungen, der Freiraum ist die einzige im Saarland . Zu uns kommen nicht nur Saarländer, sondern auch Gäste aus Frankreich, Italien und der Schweiz." Diskriminierung oder Bedrohung habe er hier noch nie erlebt. "Das ist heute alles wesentlich gesellschaftsfähiger."

Ähnliches berichtet auch Hasso Müller-Kittnau, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands Saar: "Wir haben hier schon immer ein ungewöhnlich liberales Klima gehabt. Weder in Trier, noch in Koblenz oder Kaiserslautern gibt es so viele Szene-Kneipen für Schwule und Lesben ." Außerdem habe weniger als die Hälfte der deutschen Bundesländer in der Landesverfassung festgelegt, dass Menschen nicht wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden dürfen. In Müller-Kittnaus Stimme klingt Stolz mit, als er sagt: "Und das Saarland ist eines davon."

Im Rahmen der Themenwoche geht es bei SR3 heute um 12.04 Uhr in "Region am Mittag" darum, wie tolerant die Kirchen sind. Das SR Fernsehen fragt um 18.50 Uhr im "kulturspiegel" nach: "Toleranz in der Musik - Ist Rap nur was für Gangster?"

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