„Sie sind ein Auto, ihr Rollstuhl hat Lampen“

Merzig · Erst beleidigt, dann bei Eiseskälte sitzen gelassen: Ein Zugführer der Deutschen Bahn hat einem Schwerbehinderten samt Rollstuhl am Bahnhof Stadtmitte in Merzig die Mitfahrt nach Saarbrücken verweigert. Zum wiederholten Mal. Die Bahn schweigt zu den diskriminierenden Vorfällen.

 Bereits zum zweiten Mal ließ ein Zugführer Helmuth Wolf mit seinem Elektro-Rollstuhl auf dem Bahnsteig in Merzig einfach stehen. Foto: Rolf Ruppenthal

Bereits zum zweiten Mal ließ ein Zugführer Helmuth Wolf mit seinem Elektro-Rollstuhl auf dem Bahnsteig in Merzig einfach stehen. Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal

Helmuth Wolf will wieder raus aus dem Rollstuhl. "Das ist mein Ziel, daran arbeite ich", sagt der 63-Jährige, dessen Beine nach einem schweren Verkehrsunfall nicht mehr laufen wollen. Seit gut zweieinhalb Jahren fährt der ausgebildete Heilpraktiker deshalb für Bewegungsübungen jede Woche von Saarbrücken nach Merzig ins Schwimmbad. Immer mit dem Regionalzug. Die Deutsche Bahn hat Wolf nun am 18. Januar zum wiederholten Mal auf dem Bahnsteig in Merzig Mitte sitzen lassen: "Sie sind ein Auto. Ihr Rollstuhl hat Blinklichter und Lampen. Und Autos muss ich nicht mitnehmen", habe der Zugleiter zu ihm gesagt und mit ihm minutenlang diskutiert, erzählt der Saarbrücker. Der Zugführer weigerte sich dann Wolf zufolge, die hydraulische Einstiegshilfe an der Zugtür zu bedienen und fuhr schließlich los.

"Ich habe mich am Samstag absolut hilflos gefühlt. Der Wind hat gepfiffen. Ich hatte kalt und wusste nicht wohin." Eine Stunde habe er auf dem Bahnsteig ausgeharrt. Schließlich nahm ihn der nächste Zug samt Elektro-Rollstuhl mit.

Es ist nicht das erste Mal: Bereits im September des vergangenen Jahres hatte ein Zugführer Wolf in Merzig die Mitfahrt verweigert (die SZ berichtete). Der 63-Jährige beschwerte sich wegen des Verstoßes gegen das Öffentliche-Personennahverkehrs-Gesetz. Daraufhin entschuldigte sich das Unternehmen, das im Internet Dienstleistungen rund um das barrierefreie Reisen bewirbt, schriftlich. Mit dem beiliegenden Hundert-Euro-Reisegutschein wusste Wolf allerdings nichts anzufangen: "Als Schwerbehinderter ist der öffentliche Personennahverkehr gesetzlich verpflichtet, mich kostenfrei mitzunehmen." Auch den jüngsten Vorfall meldete Wolf der Bahnzentrale. Wieder erhielt er einen Entschuldigungsbrief. Ein Anruf folgte: Die Bahn benötige die Zulassung für seinen Elektro-Rollstuhl. Man wolle seinen Fall im Detail prüfen. Wolf werde bei der nächsten Fahrt nach Merzig ein Gutachter begleiten, der seine Eignung, befördert zu werden, feststellen solle, teilte ihm ein Mitarbeiter mit. Auf SZ-Anfrage wollte die Deutsche Bahn zu den Vorfällen am Bahnhof in Merzigs Stadtmitte auch nach einer Woche und mehrfachem Nachhaken nicht Stellung nehmen. "Ich fühle mich vorgeführt. Seit Jahren fahre ich in meinem Rollstuhl ohne Probleme mit Bussen und Bahnen quer durch Deutschland", erzählt Wolf. Für die Bahn bislang offenbar auch kein Problem. Im Internet informiert der Konzern ausführlich darüber, was Behinderte beim Reisen auf der Schiene beachten müssen: "Ein mitgeführter Rollstuhl wird selbstverständlich . . . unentgeltlich befördert", schreibt die Bahn auf ihrer Webseite. Um die hydraulischen Einstiegshilfen nicht zu überlasten, seien nur Elektro-Rollstühle, die mehr als 350 Kilo wiegen, ausgenommen. "Mein Gefährt besitzt alle für die Beförderung notwendigen technischen Vorgaben. Er wiegt 140 Kilo", sagt Wolf. Zudem sei er trotz seines Übergewichts in der Lage, den Rollstuhl mittels Krücken zu verlassen, sollte es Probleme beim Verladen geben. Ins Gesundheitsbad nach Merzig will Wolf trotz der Vorfälle weiterhin mit dem Zug fahren: "Das Bad besitzt das einzige Thermalbecken im Saarland, in das ich direkt vom Rollstuhl einsteigen kann. Das lasse ich mir nicht nehmen."

Zum Thema:

HintergrundSchwerbehinderte Menschen haben dem Sozialgesetzbuch nach Anspruch auf unbegrenzte Freifahrten im öffentlichen Personennahverkehr. Busse, Straßenbahnen, S-Bahnen und Nahverkehrszüge der Bahn müssen Gehandicapte deshalb kostenlos und bundesweit inklusive Rollstuhl oder Gehhilfen mitnehmen. Die Einnahmeausfälle, die den Unternehmen dadurch entstehen, erstatten Bund und Länder dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zufolge jährlich mit etwa 400 Millionen Euro.krt

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort