Schuld ohne Sühne?

Saarbrücken · Fast neun Monate sitzt ein Familienvater in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, seine Ehefrau mehrfach vergewaltigt zu haben. Doch vor Gericht wird der Mann freigesprochen, weil seine Frau plötzlich schweigt. Er erhält nun Haftentschädigung.

Ein Familienvater aus dem Saarland ist vor dem Landgericht nur knapp einer mehrjährigen Haftstrafe entgangen. Die Staatsanwaltschaft warf dem 41-Jährigen mehrere Fälle von häuslicher Gewalt gegen seine Ehefrau vor, darunter drei Fälle von Vergewaltigung. Doch am Ende ließen sich die Vorwürfe nicht halten. Der Mann wurde weitgehend freigesprochen. Wie konnte das passieren?

Aus den Angaben der Frau bei Polizei und Ermittlungsrichter sowie aus den mehrstündigen Aussagen des Mannes vor Gericht hatten sich nach und nach Szenen einer Ehe offenbart, die spätestens Anfang 2013 aus dem Ruder gelaufen war. Bis dahin schien zumindest äußerlich alles in Ordnung.

Der Angeklagte war als Kind einer Gastarbeiterfamilie ins Saarland gekommen. 1996 lernte er dann in der alten Heimat seine damals 19 Jahre alte spätere Ehefrau kennen. Die beiden heirateten, sie kamen nach Deutschland. Drei Kinder wurden geboren. Doch die Frau kam - so die Aussage des Mannes - nie richtig im Saarland an. Sie sei meist zu Hause gewesen, spreche kaum Deutsch. Allmählich begann sich die Frau von ihrem Ehemann zurückzuziehen. "Sie sagte schlimme Dinge zu mir", erzählt der Angeklagte vor dem Landgericht. Sätze wie: "Ich will dich nicht mehr sehen" oder: "Ich ekele mich vor dir." Der Mann war ratlos, fragte einen Priester, schickte die Frau in der alten Heimat zum Psychologen. Doch nichts schien zu helfen. Zuletzt habe die Frau auch körperlich abwehrend auf ihn reagiert.

Mitte 2013 verlässt die Frau mit ihren Kindern die Ehewohnung und zieht in eine andere Stadt. Dort besucht der Mann sie und droht ihr, er werde sie umbringen, wenn sie ihm nicht die Kinder gebe. Auch einen Bekannten der Frau soll er bedroht und eines der Kinder geschlagen haben, weil es nicht mit ihm gehen wollte.

Nach diesen Vorfällen geht die Frau zur Polizei und erstattet Anzeige - auch wegen dreifacher Vergewaltigung in den letzten Monaten des ehelichen Zusammenlebens. Der Mann kommt daraufhin in Untersuchungshaft .

Wiederholt bestreitet der Angeklagte den Vorwurf der Vergewaltigung. Der sexuelle Kontakt sei auch Anfang 2013 weiter normal gewesen. Die Frau berichtet hingegen der Polizei , dass der Mann sie trotz ihrer Abneigung weiterhin sexuell bedrängt habe. Schließlich habe er sie mit Gewalt zum Sex gezwungen.

Rund neun Monate später geht es für den Mann vor dem Strafgericht schließlich um alles oder nichts: Wenn seine Frau ihre früheren Angaben zu den sexuellen Übergriffen wiederholt, gilt seine Verurteilung als wahrscheinlich. Als Ehefrau hat die Betroffene allerdings auch das Recht, die Aussage zu verweigern. Und genau das tut die 36-Jährige: "Ich möchte nicht aussagen. Ich möchte auch nicht, dass mein Mann bestraft wird." Gleichzeitig widerspricht sie der Verwertung all ihrer früheren Aussagen bei Polizei und Ermittlungsrichter . Damit sind alle Beweise für die mutmaßlichen Vergewaltigungen vom Tisch. Das Urteil gegen den 41 Jahre alten Familienvater ist damit klar: Der Handwerker wird vom Vorwurf der Vergewaltigung seiner Ehefrau in drei Fällen aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Für die deshalb zu Unrecht erlittene Untersuchungshaft von achteinhalb Monaten bekommt er eine Haftentschädigung von 25 Euro pro Tag. Wegen der verbliebenen Straftaten der ursprünglichen Anklage (Nötigung , versuchte Nötigung , Körperverletzung und Bedrohung) wird er zu einer Geldstrafe von 500 Euro verurteilt. Fazit der Richter: "Wir haben Sie nicht freigesprochen, weil wir glauben, dass Sie unschuldig sind. Den Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung haben Sie einzig und allein ihrer Frau zu verdanken." Ohne deren Entscheidung zu schweigen hätte dem Mann jahrelange Haft gedroht.

Damit endet das Strafverfahren gegen einen von 1830 Männern, die sich im Jahr 2013 laut Kriminalstatistik der häuslichen Gewalt im Saarland schuldig gemacht haben sollen.

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Auf einen BlickHilfe in Fällen häuslicher Gewalt gibt es rund um die Uhr unter der kostenlosen bundesweiten Hilfenummer (0 80 00) 11 60 16. Dort ist mit Hilfe von Dolmetscherinnen eine telefonische Beratung auch auf Türkisch, Russisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Polnisch, Serbokroatisch, Griechisch, Bulgarisch, Rumänisch, Arabisch, Persisch und Vietnamesisch möglich. hilfetelefon.de

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