Saarbrücker bekämpfen die Leere in ihrer Stadt

Das kreativzentrum.saar soll im Auftrag der Landesregierung die Kreativwirtschaft fördern. Sein neuestes Projekt widmet sich Leerständen in Saarbrücken. Darüber sprach SZ-Redakteur Fabian Bosse mit dem Berater Tamay Zieske.

 Leer und ungenutzt: der ehemalige Biofrischmarkt in der Johannisstraße. foto: Fabian Bosse

Leer und ungenutzt: der ehemalige Biofrischmarkt in der Johannisstraße. foto: Fabian Bosse

Herr Zieske, was hat ein Kreativzentrum mit so etwas Trostlosem wie Leerständen zu tun?

Tamay Zieske: Es kommen viele Kreative in unsere Beratung und suchen Raum. Leerstände sind ein großes Thema: Eigentümer zum Beispiel haben das Problem, dass ihre Immobilien oft verkommen, wenn sie nicht genutzt werden. Für die Stadt wiederum sind Straßen mit Leerständen unattraktiv. Und Kreative laufen häufig an Leerständen vorbei, und ihnen kommen fünf Ideen, wie man diesen Leerstand nutzen könnte. Doch Letztere haben zwar die Idee, aber oft keinen Zugang zu den entscheidenden Stellen. Hier setzte das kreativzentrum.saar an: Wir wollen Immobilien-Eignern, Kreativen und der Stadt zu einer Win-Win-Win-Situation verhelfen.

Wer sind denn "die Kreativen"?

Zieske: Zur Kreativbranche zählen wir die Architektur, Design, Musik, Softwareentwicklung, Werbung, aber auch Kunsthändler, Agenten, Galeristen, Verlage, Film- oder Musikproduzenten und Hersteller von Computerspielen.

Und wie können die Leerstände verhindern?

Zieske: Es gibt ein gemeinsames Interesse aller Parteien: Wenn ich meinen Leerstand freigebe, werden dieser Raum, die Straße und sogar das Viertel reaktiviert. Der Kreative bekommt eine Ausstellungsfläche, einen Büroraum oder einen Raum, wo gemeinschaftlich gearbeitet werden kann. Es bringt aber auch Zirkulation von Publikum. Das kann die Straße lebendig machen, was wiederum der Stadt gut tut. Am Gebäude geht oft der Vandalismus zurück, wovon ein Eigentümer profitiert, weil er eine saubere Immobilie hat. Wer viele Kreative in einen Stadtteil bringt, kann gewiss sein, dass dort auch ein paar Kaffee und Bier getrunken und Brote gekauft werden.

Im Nauwieser Viertel gibt es einige Leerstände. Wie könnten die schon bald genutzt werden?

Zieske: Ja, es gibt Leerstände und leider auch eine Veränderungssperre. Alles kann hier also nicht gemacht werden. Die Immobilienfirma DIC Onsite, die den ehemaligen Biofrischmarkt in der Johannisstraße verwaltet, hat seit einiger Zeit dort Leerstand. Die Scheiben werden plakatiert. Es gibt in dieser Straße wenig Attraktives. Mit der Idee, das zu ändern, kamen sie auf uns zu.

Was soll denn im Biofrischmarkt entstehen?

Zieske: Der Verein Off Space, der leer stehende Immobilien für die Kultur wieder nutzbar machen will, hat ein Konzept für eine Art kleine Europa-Galerie für Kulturschaffende entwickelt. In den ersten Stock soll eine ständige Messe rein und im Untergeschoss Platz für Kunst geschaffen werden.

Funktioniert eine kreative Zwischennutzung nur in Gegenden wie dem Nauwieser Viertel, oder lässt sich das auch auf andere Stadtteile übertragen?

Zieske: Ich denke, ja. Man kann ja als Beispiel den Prenzlauer Berg nehmen. Nach der Wende war das ein vergessener Berliner DDR-Stadtteil mit einem Haufen Leerständen. Dort gab es niedrige Mieten und eine DDR-Bohème. Nach der Wende kamen die Westkünstler dazu. Nach Jahren hat sich das hochgekocht zum Hip-Viertel. Es gab dort Kunst und viele Freiräume. Wer heute in Prenzlauer Berg spazieren geht, sieht junge Familien mit teuren Kinderwagen. Das ist zwar jetzt nicht nur den Kreativen geschuldet, aber zu einem großen Teil, weil mit den Kreativen ein Lebensgefühl Einzug gehalten hat.

Oft wird aber die schnelle Entwicklung dieser Viertel kritisiert. Es heißt dann polemisch, dass dann die Kreativen wieder wegziehen, wenn dort die Mieten steigen und das Establishment sie mit Latte macchiato in der Hand vertreibt.

Zieske: Klar, in solchen Vierteln steigt der Coolness-Faktor. Aber das hat seine Grenzen. Man muss sich da schon ganz bewusst machen, welches Viertel man mit welchem Alleinstellungsmerkmal ausstattet. Was sind die Besonderheiten? Im Nauwieser Viertel gibt es bereits kreatives Potenzial. Aber Saarbrücken hat weitere Orte, an denen sich was bewegt. Zum Beispiel die alte Becolin-Fabrik am Römerkastell. Da traut sich kein Investor ran. Dort wurde gerade erst vom Verein "Off Space" das Projekt "re:sidance" aufgeführt. Wer würde sonst dieses Gelände bespielen, wenn nicht die Kreativen? Jetzt sind da viele Räume aufgeräumt. Es ist unglaublich, was da an Manpower reingesteckt wird.

Das Ostviertel als neues Saarbrücker In-Viertel?

Zieske: Da unten passiert momentan viel. Zum Beispiel auch um das Silo herum. Ganz in der Nähe, im Fasanerieweg, hat ein Verein ein Haus mit Proberäumen für Bands eingerichtet. Gegenüber sind mehrere Künstler in Ateliers gezogen. Und mit der Bahn ist man in zwei Minuten in der Innenstadt, auf der Autobahn und an der Saar. Eine Gegend mit viel Potenzial.

Ist Freiraumnutzung die zukünftige Triebfeder von Stadtentwicklung?

Zieske: Ja. Man kann sie einsetzen. Man muss aber darauf achten, dass die Gentrifizierung sozial verträglich bleibt. Leider fand ich noch in keinem Buch, wie man das verhindern kann. Aber man sollte es zumindest immer mitdenken.

Zum Thema:

Auf einen Blick"Stadtentwicklung und die Kreativen": Unter diesem Titel lädt das Kreativzentrum am Dienstag, 21. Mai, um 18.30 ins KuBa-Kulturzentrum am Eurobahnhof zu drei Kurzvorträgen und einer Podiumsdiskussion. Zu Gast: Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer, HTW-Professor Stefan Ochs, Oliver Hasemann und Daniel Schnier von der Bremer ZwischenZeitZentrale, die Leerstände betreut und Giovanni D'Arcangelo vom Saarbrücker Verein Off Space. Moderatorin ist SZ-Redakteurin Ilka Desgranges. fabkreativzentrum-saar.de

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