Rentnerin muss Konto der Mutter leeren

Großrosseln. Sieglinde Jost ist eine Frau, die, wie man so sagt, mit beiden Beinen im Leben steht, das Herz am richtigen Fleck hat, aber sich nichts gefallen lässt. Die 72-Jährige engagiert sich "seit sechs, sieben Jahren" im Ortsrat von Emmersweiler. Sie hat zwei Jungen groß gezogen, den Ältesten verlor sie durch eine tückische Krankheit

 Sieglinde Jost vor ihrer Wohnung.  Foto: Angelika Fertsch

Sieglinde Jost vor ihrer Wohnung. Foto: Angelika Fertsch

Großrosseln. Sieglinde Jost ist eine Frau, die, wie man so sagt, mit beiden Beinen im Leben steht, das Herz am richtigen Fleck hat, aber sich nichts gefallen lässt. Die 72-Jährige engagiert sich "seit sechs, sieben Jahren" im Ortsrat von Emmersweiler. Sie hat zwei Jungen groß gezogen, den Ältesten verlor sie durch eine tückische Krankheit. Die gelernte Einzelhandelskauffrau arbeitete bei Schlecker und als Putzfrau. Auch heute noch versorgt die Rentnerin den Haushalt für sich und ihren Mann, putzt, kocht, wäscht.

Ihre alte Mutter Luise Küster lebte ebenfalls in der geräumigen Erdgeschosswohnung. Sieglinde Jost kümmerte sich gemeinsam mit ihrem Mann seit dem Tod ihres Vaters vor 16 Jahren um alle Belange der heute 92-Jährigen, um Arztbesuche, bürokratische Wege, Bankgeschäfte.

Doch seit die Mutter vor wenigen Monaten ins Krankenhaus musste, "es ging ganz plötzlich, sie konnte nicht mehr gehen", und von dort direkt ins Pflegeheim kam, begann die Auseinandersetzung über die anfallenden Kosten mit dem zuständigen Sozialamt im Regionalverband, dem Sozialen Dienstleistungszentrum am Schloss in Saarbrücken. "Da fing der Kampf an", sagt Jost.

Über 1100 Euro Rente verfügt die Mutter. Doch der Eigenanteil für die Unterbringung im Altenheim beträgt 1566 Euro monatlich (die Gesamtkosten belaufen sich auf über 2500 Euro pro Monat, von denen die Pflegekasse nur 1023 Euro übernimmt). Die fehlenden 450 Euro konnte Sieglinde Jost nicht bezahlen. "Wie denn auch? Das Amt hat mich gefragt, ob ich für meine Mutter einspringen könne. Das konnte ich nicht. Meine Rente beträgt gerade mal 459 Euro."

Dabei hat das Sozialamt nur getan, was der Gesetzgeber für solche Fälle vorsieht: Es hat die Vermögensverhältnisse überprüft. Und ist dabei über rund 6500 Euro gestolpert. Diesen Betrag konnte die Familie Jost aber erklären: Mutter Küster hatte vor drei Jahren bereits ihre komplette Beerdigung bei einem Bestattungsunternehmer bestellt und bezahlt, auch das Grab des Vaters zurückgekauft. Was sie damals natürlich nicht wissen konnte, war, dass sie zum Pflegefall werden und von Zuzahlung durch die öffentliche Hand abhängig würde. Die Summe von 6500 Euro, die bei der Überprüfung für das Sozialamt zunächst als nicht einzustufender Betrag herumgeisterte, ist höher, als der Gesetzgeber es für einen solchen Fall genehmigt. 2600 Euro dürften Betroffene für Bestattungskosten beiseite legen, teilt Isabella Maas, Leiterin der Abteilung "Hilfe zur Pflege in Einrichtungen" im Sozialamt des Regionalverbandes, auf SZ-Nachfrage mit. Hinzu kämen 2600 Euro Vermögen, das unangetastet bleibe, wenn Bedürftige die öffentliche Hand in Anspruch nehmen müssen.

Darum soll Sieglinde Jost jetzt das Konto ihrer Mutter leer räumen. Sie muss, bis die letzten 1600 Euro verbraucht sind, auch das monatliche Taschengeld von 100 Euro für die alte Dame übernehmen. Fazit für Sieglinde Jost: "Ich werde mal nicht ins Altersheim gehen. Lieber erschieße ich mich."

Eigentlich darf sich die 72-Jährige nicht aufregen, aus gesundheitlichen Gründen, vor zwei Jahren erlitt sie einen Schlaganfall. Die Auseinandersetzung mit der Bürokratie schlaucht sie, sagt Sieglinde Jost. Jetzt hat sie kapituliert und ihren Widerspruch gegen die Ablehnung der Zahlungsübernahme durch das Sozialamt zurückgezogen. Sie geht monatlich an das Sparbuch ihrer Mutter, zahlt auch Extras wie Shampoo oder Papiertaschentücher. Sie ist verbittert: "9500 Euro hatte meine Mutter nach dem Tod meines Vaters mühsam zusammengespart, damit mir und meinem Bruder im Fall ihres Todes keine Kosten entstehen."

Im Fall Küster/Jost habe der Regionalverband bereits stärker als üblich die bestehende Situation berücksichtigt, sagt dagegen Isabella Maas: "Wir waren kulant. Wir könnten verlangen, den Vertrag mit dem Bestattungsunternehmen rückgängig zu machen; es gibt eine einschlägige Rechtsprechung." Das ist Recht nach dem Gesetz. Gerecht findet es Sieglinde Jost nicht: "Wie soll ich jetzt die nächste Verlängerung der Laufzeit unserer Grabstätte bezahlen, wenn das Konto leer ist?"

Hintergrund

 Sieglinde Jost vor ihrer Wohnung.  Foto: Angelika Fertsch

Sieglinde Jost vor ihrer Wohnung. Foto: Angelika Fertsch

1440 Personen haben aktuell eine Übernahme von Zahlungen zur Pflege im Regionalverband beantragt. Die Fälle bearbeitet die Abteilung "Hilfe zur Pflege in Einrichtungen" im Sozialamt des Regionalverbandes. Dabei werden sämtliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragsteller nach den Richtlinien des Saarlandes (gelten auch für Rheinland-Pfalz) geprüft. af

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