„Plenarsaal ist kein Gebetsraum“

Am 26. März 2017 wird im Saarland ein neuer Landtag gewählt. Ein Jahr vorher spricht die SZ mit Spitzenvertretern der Parteien über die Ausgangslage und aktuelle Themen. Heute: SZ-Redakteur Daniel Kirch im Gespräch mit Oskar Lafontaine, dem Fraktionsvorsitzenden der Linken im Landtag.

 Oskar Lafontaine will erst im November entscheiden, ob er im März 2017 wieder für den Landtag kandidiert.

Oskar Lafontaine will erst im November entscheiden, ob er im März 2017 wieder für den Landtag kandidiert.

Foto: Becker&Bredel

Die AfD hat bei den drei Landtagswahlen vor einer Woche ihre größten Erfolge bei Arbeitern und Arbeitslosen erzielt, also in Ihrer Kernklientel. Das muss Sie beschäftigen.

Lafontaine: Die drei Landtagswahlen waren Protestwahlen gegen den Neoliberalismus mit all seinen Folgen: prekäre Arbeitsverhältnisse, Zerstörung der Sozialversicherung, Verschlechterung des Arbeitslosengeldes und der Rentenformel, stagnierende oder sinkende Reallöhne und Renten, kein ausreichender sozialer Wohnungsbau, zu wenig Personal bei Schulen und Polizei .

Das hat mit den Flüchtlingen erst einmal nichts zu tun.

Lafontaine: Aber wenn eine Million Menschen dazukommen, verschärfen sich all diese Probleme. Der Protest richtete sich auch gegen eine neoliberale Flüchtlingspolitik : Angela Merkel lädt Menschen ein, zu uns zu kommen, aber sie versäumt es, für soziale Ausgleichsmaßnahmen wie einen höheren Hartz-IV-Satz oder eine Anhebung des Mindestlohns zu sorgen und ein gerechteres Steuersystem einzuführen.

Was hat Ihre Partei, die Linke falsch gemacht?

Lafontaine: Die Parteiführung hat in guter Absicht die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin unterstützt. Ihr ist es aber nicht gelungen, deutlich zu machen, dass die unabdingbare Voraussetzung die sozialen Ausgleichsmaßnahmen sind. Die AfD gehört zum neoliberalen Parteienblock. Sie ist gegen einen gesetzlichen Mindestlohn, gegen die Vermögensteuer, gegen die Erbschaftsteuer und für Steuererleichterungen für hohe Einkommen. Das ist alles völlig ausgeblendet worden. Die Auseinandersetzung darf nicht so geführt werden, dass die Wähler der AfD in die rechtsradikale Ecke gestellt werden. Dieser Fehler wird teilweise auch von Funktionären der Partei Die Linke gemacht.

Angenommen, nach der Landtagswahl gäbe es eine rechnerische Mehrheit für Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün. Was wäre die unverhandelbare Bedingung für eine Beteiligung der Linken?

Lafontaine: Ohne einen Ausbau der Belegschaftsbeteiligung kann ich mir das nicht vorstellen. Was passiert, wenn die Belegschaft keinen Einfluss hat, haben wir gerade bei den Whitesell-Schraubenwerken in Beckingen gesehen. Wie es andersherum geht, sehen wir bei der saarländischen Stahlindustrie mit der Stahlstiftung und dem Einfluss der Belegschaft.

Sie haben immer noch Kontakte in die Saar-SPD. Haben Sie den Eindruck, dass sie sich damit abgefunden hat, nach der Landtagswahl wieder eine große Koalition einzugehen?

Lafontaine: Teile der Saar-SPD erwecken diesen Eindruck. Auch die saarländischen Sozialdemokraten müssten endlich glaubwürdig von der Agenda-Politik abrücken und dafür sorgen, dass die Landesregierung im Bundesrat entsprechende Anträge stellt.

Und die Grünen?

Lafontaine: Die Grünen streben auf Bundesebene zur CDU . Auch im Saarland hat der Landesvorsitzende Hubert Ulrich 2009, als Rot-Rot-Grün möglich gewesen wäre, lieber mit der CDU koaliert.

Wir würden Sie ein Jahr vor der Landtagswahl den Zustand Ihrer Partei beschreiben?

Lafontaine: Die Landespartei hat sich nach den Anfangsschwierigkeiten, die jede neue Partei hat, normalisiert. Wir sind eine etablierte Partei - und auch deshalb notwendig, weil wir die Einzigen sind, die die jetzige Wirtschaftsordnung, die Jahr für Jahr zu wachsender Ungleichheit der Vermögen und Einkommen führt, ablehnen. Wir können als einzige Landtagspartei den Satz des Papstes unterschreiben: "Diese Wirtschaft tötet."

Apropos: Finden Sie es richtig, wenn in Gerichtssälen die Kreuze abgehängt werden?

Lafontaine: Ja, in jedem Fall. Gerichte sind keine kirchlichen Einrichtungen. Wenn man Respekt vor religiösen Symbolen hat, dann ist der Gerichtssaal wirklich nicht der Raum dafür.

Im Plenarsaal des Landtages hängt auch ein Kreuz.

Lafontaine: Auch der Plenarsaal ist kein Gebetsraum.

Wie ist Ihr Verhältnis zur katholischen Kirche?

Lafontaine: Ich halte die christliche Soziallehre für richtig und glaube, dass die Programmatik der Partei Die Linke ihr am nächsten ist. Der Sozialismus ist über weite Teile säkularisiertes Christentum.

Wovon machen Sie abhängig, ob Sie wieder für den Landtag kandidieren?

Lafontaine: Es gibt eine Reihe von Faktoren, auch politische. Was mich sehr beschäftigt, ist die Zukunft der Stahlindustrie und das Erstarken der AfD. Aber es spielen auch private Überlegungen eine Rolle. Ich habe mich noch nicht entschieden.

Wann entscheiden Sie?

Lafontaine: Sehr zeitnah vor der Listenaufstellung im November.

Gibt es jemandem, dem Sie zutrauen, nach Ihnen die Fraktion zu führen?

Lafontaine: Man darf nie der Versuchung unterliegen, sich für unersetzlich zu halten.

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