„Panama ist überall“

Der Saartalk ist eine Gesprächsreihe von SR und SZ. Diesmal stellten sich die EU-Parlamentarier Viviane Reding (CSV, Luxemburg) und Jo Leinen (SPD, Saarland) den Fragen der Chefredakteure Norbert Klein (SR) und Peter Stefan Herbst (SZ). SZ-Redakteurin Ute Klockner hat das Gespräch in Auszügen dokumentiert.

 Viviane Reding und Jo Leinen im Gespräch mit den Chefredakteuren Norbert Klein (SR) und Peter Stefan Herbst (SZ; von links).

Viviane Reding und Jo Leinen im Gespräch mit den Chefredakteuren Norbert Klein (SR) und Peter Stefan Herbst (SZ; von links).

Foto: Dietze

Herbst : Wie und wo haben Sie die Anschläge am 22. März in Brüssel erlebt?

Reding: Ich saß im Büro einige hundert Meter entfernt von der Metrostation mit meinem ganzen Team. Die erste Reaktion war: Sind wir alle da? Wir sind von Büro zu Büro und haben kontrolliert, dass alle da waren. Dann hatten wir Hausarrest bis 17 Uhr, keiner durfte ins Parlament rein, keiner raus. Es waren sehr emotionale Momente.

Klein: Fühlen Sie sich nun unsicherer in Brüssel?
Leinen:
Die Atmosphäre hat sich ziemlich verändert. Überall sind Soldaten und Kontrollen. Viele fühlen sich unsicherer.

Klein: Manche Wissenschaftler sprechen vom Zeitalter der Verunsicherung, andere von einer vorübergehenden Erscheinung.
Reding: Es ist eine vorübergehende Sache. Wir hatten das schon mehrfach in der Geschichte, dass es Terrorzellen gab. (. . .) Ich hoffe nur, dass es einen Weckruf gibt, denn vieles ist geschehen, weil die Sicherheitskräfte nicht zusammengearbeitet haben und der grenzüberschreitende Austausch von Informationen nicht funktioniert hat. Wenn das geklärt wird und die europäischen Sicherheitskräfte so ausgerüstet werden, dass sie miteinander kommunizieren können, dann wären wir der besseren Sicherheit näher.

Herbst : Schützen uns mehr Datenerfassung und Austausch wirklich?
Leinen: Terroristen reisen als Touristen durch Europa und der Nationalstaat kann das alleine nicht erfassen. Wir brauchen daher mehr Europa, mehr europäische Zusammenarbeit bei den Sicherheitsbehörden. (. . .) Wir brauchen auch andere Maßnahmen, das müssen die Moscheevereine, die Schulen, also die Gesellschaft lösen. Man muss achtsam sein, wo solche Zellen entstehen können.

Herbst : Hat Sie die Dimension der Enthüllungen der Panama-Dokumente überrascht?
Leinen: Im EU-Parlament arbeiten wir seit Längerem daran, Offenheit bei den Finanztransaktionen zu bringen. Dieses Versteckspiel hat einen immensen Schaden von mindestens hundert Milliarden Euro jährlich. Wir im Parlament drücken ja die EU-Kommission, dass sie etwas unternimmt und es zumindest in Europa einheitliche Regeln gibt.

Klein: Hat die Politik zu wenig unternommen?
Reding: Die Politik hat sehr lange zugeschaut. Panama ist überall. Man redet überhaupt nicht über die Amerikaner. Die USA sind eines der größten Steuerparadiese der Welt. Wir haben auch sehr viele Möglichkeiten in den meisten unserer Mitgliedsstaaten, etwa Belgien und die Niederlanden, solche Konstrukte zu machen. Diese Konstrukte gehen von den hiesigen Banken, Steuerberatern und Rechtsanwälten aus. Da sollte man ansetzen.

Herbst : Luxemburg war eine zeitlang Bestandteil dieses Systems. Große Konzerne konnten Geld, das sie woanders verdient hatten, zu unmoralisch niedrigen Steuersätzen in Luxemburg zu versteuern.
Reding: Ich glaube, alle haben verstanden, dass Luxemburg aus einer extremen Situation sehr schnell die richtigen Gesetze und Reformen in die Wege geleitet hat, um diese Situation zu ändern.

Klein: Wofür brauchen wir heutzutage, neben dem Frieden, die EU?
Leinen:
Das große neue Thema neben dem Frieden ist die Sicherheit. Die äußere Sicherheit, aber auch die soziale Sicherheit. Wir haben heute die Konkurrenzsituation zu China, wo Billigprodukte auf den Markt kommen, nicht zuletzt im Stahlsektor. Da fragen die Leute: Was tut die EU, für faire Arbeitsbedingungen und um meinen Arbeitsplatz zu sichern?

Herbst : In der Flüchtlingskrise scheint es, dass die EU keine gemeinsamen Werte vertritt. . .
Reding: Man hat schon den Eindruck, dass in einigen unserer Staaten diese Werte entweder nie richtig bestanden haben oder in Vergessenheit geraten sind. Die erste Attacke lief immer gegen den Obersten Gerichtshof. So geschehen in Rumänien und Ungarn und jetzt ist Polen auf derselben Schiene. (. . .)Wenn man so eine Auffassung vertritt, dass man den Obersten Gerichtshof abschaffen kann, dann ist man Diktator und nicht Rechtsstaatler. Wir haben nicht genügend dafür gesorgt, dass solches Wertenegieren in unserer Union strafbar ist.

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"Europa muss in der Stahlbranche den richtigen Rahmen setzen"


Zum Abschluss des Saartalks gilt es traditionell für die Gäste der Sendung, vorgegebene Sätze schnell und möglichst spontan zu ergänzen.

Herbst : Die Terroranschläge in Brüssel waren. . .?

Reding:. . .schlimm für die Menschen, die den Tod und die Verwüstung fanden.

Klein: Die Enthüllung der Panama-Dokumente hat gezeigt, dass. . .?

Leinen: . . .es eine große Dunkelziffer an Steuerpraktiken, Steueroasen und Steuervermeidung gibt.

Herbst : Die Flüchtlingskrise ist für Europa. . .?

Reding: . . .eine Chance, sich neu zu erfinden, wenn alle in Solidarität zusammenarbeiten.

Klein: Die Stahlbranche in der Großregion hat eine Chance, wenn. . .?

Leinen: . . .die richtigen Rahmenbedingungen in Europa gesetzt werden, mit der Konkurrenz zu China und auch dem neuen Emissionshandelsystem.

Herbst : Mein größter politischer Erfolg war. . .?

Reding: . . . die Abschaffung der Roamingkosten.

Klein: Mein größter politischer Erfolg war. . .?

Leinen: . . .das Thema Umweltschutz von einem Randthema zu einem zentralen Thema in unserer Republik zu machen.

Herbst : An Jo Leinen schätze ich. . .?

Reding: Er ist ein sympathischer Typ, der etwas in der Politik bewegt.

Klein: An Viviane Reding schätze ich. . .?

Leinen: . . .ihre Gradlinigkeit, ihren Mut, in schwierigen Zeiten in der Kommission und ihre Überzeugung für ein geeintes Europa.

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