„OP nur, wenn alle Stränge reißen“

Saarbrücken · Fast die Hälfte der Deutschen hat Übergewicht. Adipositas, also krankhafte Fettleibigkeit, nimmt in allen Alters- und Gesellschaftsgruppen zu. An diesem Samstag eröffnet am Klinikum Saarbrücken auf dem Winterberg offiziell ein neues Adipositas-Zentrum, das in seiner Form und mit den vielen Kooperationspartnern nach Aussage des Leiters, Dr. Daniel Schubert, bislang einzigartig im Saarland ist. SZ-Redakteurin Ute Klockner hat vorab mit dem Chefarzt gesprochen.

Warum fällt vielen Übergewichtigen das Abnehmen so schwer?

Schubert: Menschen, die zu uns kommen, haben in puncto Abnehmen schon viel durchgemacht beziehungsweise ausprobiert. Wir sprechen von Leuten mit extremem Übergewicht und einem Body-Mass-Index von 50, 60, 70 (Der BMI berechnet sich aus Gewicht in Kilogramm geteilt durch Körpergröße in Metern im Quadrat. Ab einem Wert von 30 gilt man als fettleibig, Anm. d. Red.). Die Fälle, von denen man in Illustrierten liest, wo Menschen durch Diät ihr Gewicht halbiert haben, sind Einzelfälle. Der gemeine Patient schafft das nicht. Nicht umsonst spricht die Weltgesundheitsorganisation von Übergewicht als einer Krankheit. Mit Trägheit hat das nichts mehr zu tun. Oft liegen auch krankhafte Essstörungen oder psychosomatische Ursachen zugrunde. Hinzu kommen durch das Übergewicht bedingte Begleiterkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleber und Lungenprobleme, welche die Patienten in einen gesundheitlichen Teufelskreis ziehen.

Wie können Sie helfen?

Schubert: Wir sind ein interdisziplinäres Netzwerk, das ambulante und stationäre Angebote miteinander verknüpft. Bei uns arbeiten etwa Ernährungsexperten, Bewegungstherapeuten, Psychosomatiker, Internisten und Chirurgen. Ziel ist ein auf den Patienten maßgeschneiderter Therapieplan. Zunächst wird geschaut, ob ein konservativer Ansatz, also Ernährungs- und Bewegungstherapie oder Einkaufsberatung, gewählt wird oder Medikamente verschrieben werden.

Ab wann raten Sie zu einer Operation?

Schubert: Als Ultima Ratio, wenn alle Stränge reißen. Für eine OP gibt es strenge Leitlinien, denn das Risiko einer Operation ist bei Übergewichtigen ungleich höher. Um eine Kostenzusage durch die Krankenkassen zu erhalten, muss der Patient einen BMI von 40 haben oder 35 - wenn zusätzliche Begleiterkrankungen vorliegen. Auch muss er mindestens sechs Monate unter spezieller Behandlung gewesen sein, wo konservative Ansätze nicht gegriffen haben. Zudem muss ein psychologisches Gutachten vorliegen.

Mit einer OP lässt sich das Problem aber nicht vollständig lösen . . .

Schubert: Genau. Wir geben nur den Startschuss, sind quasi der Dosenöffner. Für die Patienten sind damit eine lebenslange Nachsorge und weiter konsequente Ernährungs- und Bewegungstherapie verbunden. Etwa mit einem Magenbypass muss der Patient Vitamine und Eisen schlucken, damit es zu keiner Mangelerscheinung kommt. Der Erfolg ist sehr unterschiedlich und hängt von der Ausgangslage und dem Essverhalten nach der OP ab. Im ersten Jahr können Patienten durchaus 50 bis 100 Kilogramm abnehmen.

Auch viele Teenager sind übergewichtig. Operieren Sie Minderjährige?

Schubert: In Deutschland werden unter 18-Jährige außerhalb von Studien generell nicht operiert. In anderen Ländern, etwa den USA, den Benelux-Ländern und Frankreich, ist es weniger streng reglementiert. Dort folgt man dem Grundsatz: je früher, desto besser. Auch um Begleiterkrankungen vorzubeugen.

Kritiker sagen, die OPs seien ein teurer Trend. Was entgegnen Sie?

Schubert: Die Zahlen der OPs steigen weltweit und in Deutschland rasant. Dafür gibt es verschiedene Ursachen. Zum einen steigt die Zahl der extrem Übergewichtigen von Jahr zu Jahr. Zudem liegen nun exzellente Langzeitdaten vor, die besagen, dass bei guter Ausgangslage des Patienten die OP auf lange Sicht effizienter ist als eine konservative Behandlung. Mit OPs lassen sich teilweise Begleiterkrankungen wie zum Beispiel die Zuckerkrankheit oder Bluthochdruck deutlich mildern oder heilen.

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