Neuer Bettel-Boom macht ratlos

Saarbrücken · Betteln in besten Geschäftslagen nimmt in Saarbrücken besorgniserregende Ausmaße an. Zumal nicht arme Leute aus der Nachbarschaft um Milde bitten, sondern Opfer von Hintermännern, die Bettelei zum Geschäft gemacht haben.

 Viele Bettler in der Saarbrücker Innenstadt hoffen auf das Mitleid der Passanten. Foto: becker & bredel

Viele Bettler in der Saarbrücker Innenstadt hoffen auf das Mitleid der Passanten. Foto: becker & bredel

Foto: becker & bredel

Wenn sich der "Arbeitskreis Sicherheit und Ordnung", dem zahlreiche deutsche Großstädte angehören, Ende Oktober in Saarbrücken trifft, geht es auch um das Betteln in Fußgängerzonen.

Jürgen Wohlfarth, Rechts- und Ordnungsdezernent der gastgebenden Landeshauptstadt, weiß von den Kollegen, dass über dieses Thema überall diskutiert wird, vor allem weil sich Handel und Bürger über Belästigungen und Schmutz beschweren. In Saarbrücken ist der Verein für Handel und Gewerbe ebenfalls besorgt über dieses "nicht gute Thema", so der Vorsitzende Max Schoenberg. Saarbrücken sei wegen der Grenzlage noch stärker vom "organisierten Betteln" durch täglich einreisende Gruppen aus Südosteuropa betroffen als vergleichbare Städte.

Die Stadt nimmt an, dass die Bettler infolge der Freizügigkeit in der EU aus Armut nach Deutschland reisen und Bettelei als Tagwerk verrichten. Unter den Arkaden in der Bahnhofstraße trifft der Passant in diesen Tagen mindestens alle 100, wenn nicht alle 50 Meter auf Bettler. Die meisten sitzen oder knien mit vorgehaltenem Pappbecher oft sehr lange an einem einzigen Ort.

Andere, meist deutschstämmige Bettler, haben Hunde dabei, was wohl das Mitleid steigern soll. Die meisten gehen achtlos vorbei oder machen einen Bogen, was den jeweiligen Geschäftsleuten nicht recht sein kann. Wenige Fußgänger trauen sich, den Hunde-Bettlern "Masche" vorzuwerfen - sie hätten die Tiere nur, um sie zum Betteln zu missbrauchen. Vereinzelt wehren sich die Bettler gegen diese Sicht.

Wie der Rechtsdezernent erklärt, werden Beschwerden aus der Kaufmannschaft und der Bevölkerung ernst genommen. Das "Demutsbetteln" sei auf den Gehwegen aber grundsätzlich nicht zu verbieten. Verboten sei es in den Parks und Grünanlagen. In Saarbrücken sei durch Verordnung allerdings das "organisierte Betteln" auf der Straße untersagt. Außerdem sei das Betteln mit Kindern, Zirkustieren und Hunden verboten. Das Problem ist allerdings, wie Wohlfarth einräumt: Wer stellt im Einzelfall fest, ob der Bettler Teil einer Organisation ist? Antwort: niemand, allenfalls die Polizei. Und wer findet heraus, ob der Hund nur zum Betteln mitgeführt wird oder ob er der ständige Begleiter des Bettlers ist? Antwort: Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes, aber die sind dem Vernehmen nach nur bedingt in der Lage, das Bettel(un)wesen einzudämmen, zumal es genug spendable Passanten gibt, die das Betteln ja lukrativ machen.

Hinzu kommt, dass Mitarbeiter des Ordnungsamtes sich nicht selten für ihre Arbeit rechtfertigen müssen, wenn zufällig des Weges kommende Menschen Partei für die Bettler ergreifen. "Wir haben nicht die Instrumente, so etwas zu lösen", sagt Wohlfahrt, und er gesteht, "kein Rezept" gegen das Betteln zu haben, das sich im Advent noch verstärken dürfte.

Auch die Kaufmannschaft, die regelmäßig mit der Verwaltung über das Thema berät, hat "keine Lösung" (Schoenberg). Im Vergleich zu früheren Jahren, als es im Zuge der Punk-Bewegung zu - nach wie vor verbotenem - aggressivem, körpernahem Betteln kam, ist die Lage heute aber vergleichsweise entspannt. Dies spiegeln die Zahlen der Polizei-Inspektion St. Johann, deren Kontaktbeamte das Geschehen ständig beobachten. Wie Polizeichef Udo Schneider der SZ sagte, gab es im Jahr 2013 (Stichtag 16. September) 20 Ersuchen wegen Bettelei. In sieben Fällen seien Verfahren wegen "organisierten Bettelns" eingeleitet worden, sechsmal sei "körpernahes Betteln" geahndet worden, siebenmal habe man sich mit "stillen Bettlern" befasst. Schneider nennt die Lage "nicht eklatant", dennoch habe man das Thema "immer auf der Agenda".

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