Nazis nahmen ihr auch die Heimat

Landtagspräsident Hans Ley und Landeszentrale für politische Bildung laden am kommenden Montag, 15 Uhr, am Auschwitz-Gedenktag ins Hotel Mercure auf dem Ex-Gestapolagergelände an der Neuen Bremm. Reden wird die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron, 91. Mit ihr sprach SZ-Redakteur Dietmar Klostermann.

Frau Deutschkron, im vergangenen Jahr haben Sie vor dem Deutschen Bundestag die Rede anlässlich des Auschwitz-Gedenktags gehalten. Am kommenden Montag werden Sie auf Einladung des Saar-Landtags und der Landeszentrale für politische Bildung im Saarbrücker Hotel Mercure, das auf dem Gelände des Ex-Gestapo-Lagers errichtet wurde, die Gedenkrede halten. Sind Sie in Ihrer Zeit als Journalistin zu Recherchen im Saarland gewesen oder haben ihre Bücher hier vorgestellt?

Inge Deutschkron: Nein, ich komme erstmals ins Saarland. Das ist eine Premiere für mich.

Welche Botschaft bringen Sie zum Gedenktag mit?

Inge Deutschkron: Ich werde sagen, was Schreckliches geschehen ist und dass man zu wenig getan hat, um zu helfen. Es hat einige wenige gegeben, die uns Juden geholfen haben. Dafür kämpfe ich, dass diese Menschen ordentlich geehrt werden. Aber der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer sagte, die Mehrheit des deutschen Volkes sei dagegen gewesen, dass man Juden so behandelte, wie es die Nazis taten. Adenauer hat auch gesagt, dass viele Deutsche den Juden geholfen hätten. Wenn es "viele" Helfer gewesen wären, hätten mehr überlebt. In Berlin haben 1700 Juden die NS-Herrschaft überlebt von vorher 160 000. Durch die Hilfe von Deutschen. Den Quatsch, den Adenauer da geredet hat, habe ich angeklagt.

Sie haben Ihr Leben lang daran gearbeitet, die nachfolgenden Generationen über die Verbrechen der Nazis aufzuklären, aber auch über mutige Zeitgenossen zu berichten, die sich gegen den Nazi-Terror stellten. Zu Jahresanfang lief das Doku-Drama über den fast blinden Berliner Fabrikanten Otto Weidt, der sie und viele andere Juden vor dem Zugriff der Nazis schützte. Denken Sie, dass Sie zur Immunisierung der Deutschen gegen rassistische Denkmuster beigetragen haben?

Inge Deutschkron: Ach Gott, dass sind so viele kleine Pünktchen, die das eventuell tun. Ich mache ja nicht nur das, ich mache Lesungen, ich mache Führungen durch das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt. Das ist erhalten geblieben aus der alten Zeit, es ist authentisch, es ist der einzige Ort in Berlin, wo man etwas über die Verfolgung der Juden empfinden kann. Ich habe eine Inge-Deutschkron-Stiftung gegründet. Und für die "Stillen Helden", die uns geholfen haben, eine Gedenkstelle gegründet. Dann habe ich es geschafft, dass Schüler am 27. Januar, dem Auschwitz-Gedenktag, Schüler zu den Überlebenden des Holocaust gehen, um ihnen Blumen zu bringen und mit ihnen zu sprechen. Die Überlebenden sagen, "Jetzt lerne ich doch mal deutsche Kinder kennen". Und die Schüler sagen, es ist viel besser, die Geschichte zu hören als wenn man das liest. Irgendetwas muss doch ein bisschen 'was helfen, finden Sie nicht?

Sie leben seit vielen Jahren wieder in Berlin. Würden Sie Berlin und Deutschland, trotz des Leids, das Sie durch die Nazis erfahren haben, als ihre Heimat bezeichnen?

Inge Deutschkron: Nein! Das kann ich nicht mehr. Wissen Sie, man hat uns da die Wurzeln abgeschnitten. Die wachsen so schnell nicht wieder. Das war zu schlimm. Ich habe überhaupt keine Familie mehr, sie sind alle vergast worden. Natürlich bin ich mit Berlin mehr verbunden als mit Deutschland. Ich habe hier 20 Berliner Familien gehabt, die uns in der Illegalität betreut haben. Die haben ihren Kopf riskiert für uns. Das ist eine ganz wichtige, wenn Sie so wollen, Minderung. Hinzu kommt: Berlinerisch ist die einzige Sprache, die ich richtig kann (lacht).

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HintergrundInge Deutschkron, geb. 1922, überlebte in Berlin den NS-Terror. Während dem Vater 1939 die Flucht nach England gelang, konnten sich Inge Deutschkron und ihre Mutter von 1943 bis 1945 bei Berliner Familien verstecken. 1946 nach England gegangen, studierte Inge Deutschkron Sprachen und arbeitete ab 1955 in Bonn für das israelische Blatt Maariv. 1966 erhielt sie zur deutschen die israelische Staatsbürgerschaft. Seit 2001 wohnt sie wieder in Berlin. red

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