Nachtleben: Job für die einen - Spaß für andere

Saarbrücken. Irgendwann gegen halb fünf Uhr morgens scheint es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Zigarettenrauch flirrt im schummrigen Licht. "Ich liebe das Leben" - Vicky Leandros' Stimme hallt von den Wänden der kleinen Kneipe und in den Köpfen der vielleicht 15 Gäste wider. Der Mann, der in dunklem Anzug und Krawatte hinter dem Tresen steht, heißt Toni

 Nachtschwärmer vor der Brasserie in der Fröschengasse.

Nachtschwärmer vor der Brasserie in der Fröschengasse.

Saarbrücken. Irgendwann gegen halb fünf Uhr morgens scheint es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Zigarettenrauch flirrt im schummrigen Licht. "Ich liebe das Leben" - Vicky Leandros' Stimme hallt von den Wänden der kleinen Kneipe und in den Köpfen der vielleicht 15 Gäste wider. Der Mann, der in dunklem Anzug und Krawatte hinter dem Tresen steht, heißt Toni. Er nimmt die auf, die in dieser Novembernacht noch nicht genug haben vom Saarbrücker Nachtleben.

"Das Karussell", flimmert es aus den Lautsprechern, "wird sich weiterdrehen." Schlager, zu einer Uhrzeit, zu der keiner der Gäste an Schlaf denkt. Die Nacht hat sie verschluckt, und wird sie erst in den frühen Morgenstunden, wenn Toni die letzte Runde abkassiert, wieder ausspucken. Wenn Zeit wieder zählbar wird, wenn das Leben wieder aus Alltag besteht.

Adrian Hinkels Alltag läuft da ab, wo andere feiern. Auch er genießt nach Feierabend das Leben bei Toni. Das Nachtleben ist sein Beruf - seit zwölf Jahren ist er Betriebsleiter des Sankt J auf dem St. Johanner Markt. Zwölf Jahre, in denen er nicht nur den Ex-Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine an seinem Tresen bediente. Adrian Hinkel weiß zu erzählen: von gescheiterten Basketballtalenten, denen er als Trainer zu ersten Erfolgen verhalf, von weniger erfolgreichen befreundeten Unternehmern aus der Region, von einem befreundeten Kneipier, der in den späten 70er-Jahren den Rockmusiker Frank Zappa aus seinem Laden geworfen haben soll. Weil, erzählt er lächelnd, dieser der falschen Frau Komplimente machte.

Musiklegenden und solche, die es noch werden wollen, trifft man an in der Saarbrücker Nacht. Felix, 20, studiert Dirigieren in Saarbrücken - seinem "Zentrum der Party". Gemeinsam mit Kumpel Jakob, 20, ist er durch die Kneipen des Nauwieser Viertels getingelt. "Die kleinen Räume, die familiäre Atmosphäre - ideal zum Party machen", finden sie. Ein Abend, eine Stadt, "au coeur de la nuit". Die Pfälzer fühlen sich nachts sichtlich wohl - bei dem Angebot: Von Mediziner-Partys im Seven bis zu Exzessen im Saarbrücker Nachtwerk haben die Studenten schon so manche Nacht zum Tag gemacht. Und heute? "Wir ziehen noch weiter zu einer WG-Party." Bevor sie dort ankommen, werden sie Halt machen an einem der zahlreichen Imbisse, die Saarbrückens Nachtschwärmer auf Tour stärken.

"Chez Jerôme" ist seit 13 Jahren Bäckerei und Bistro in einem. Am Wochenende beherbergt Jerôme die ganze Nacht hindurch die, die sich nach langer Partynacht für den Heimweg stärken und die, die bereits zur Arbeit aufbrechen. Der Feuerwehrmann isst neben dem, der am Abend zuvor seinen Durst gelöscht hat. Der 38-jährige Jerôme und Mutter Marie Foucat betreiben mit ihrem Familienbetrieb eine Institution der Saarbrücker Nachtwelt, bei der auch unter den Gästen familiäre Atmosphäre herrscht. "Der Laden ist nachts berstend voll. Alle sechs Monate höchstens benimmt sich einer daneben", berichtet Marie Foucat. Dafür sorge schon ihr Sohn - herzlich, aber fair.

Nicht bei allen geht es so gesittet zu: Die Diskontoschenke in der Dudweilerstraße stampfte ihre nächtlichen Öffnungszeiten ein, weil es zu viel Randale gab. "Selbst Plastikgeschirr half nicht viel - am Ende glich der Bürgersteig einem verbrannten Dorf", erzählt Gerd Hauck. Der 49-Jährige arbeitet im Imbiss der Diskontoschenke.

Zum Glück gibt es sie noch: die friedlichen Nachtschwärmer, die die Ruhe der Nacht suchen. Christoph, 36, ist einer der Mondsüchtigen, die erst dann über die Bahnhofstraße spazieren, wenn die geschasste Schar der Passanten nicht mehr durch die Passagen pilgert. "Die Menschen sind um 2 Uhr nachts entspannter - und nicht so spießig", findet er. Deswegen trinkt er auch mal mit Fremden sein Bier in einer der Kneipen des Nauwieser Viertels. Christoph liebt das Leben - das Nachtleben. "Auch wenn wir auseinandergehen", heißt es in Vicky Leandros' Liedtext. Die Magie der Nacht wird sie wieder zusammenführen, die Nachtschwärmer Saarbrückens. "Die Menschen sind um zwei Uhr nachts entspannter - und nicht so spießig."

 Thekenleben im Sankt J.

Thekenleben im Sankt J.

 Jerôme Foucat, Hausherr im "Chez Jerôme". Fotos: Rich Serra

Jerôme Foucat, Hausherr im "Chez Jerôme". Fotos: Rich Serra

Christoph, 36, Nachtschwärmer

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort