Muss mein Arbeitgeber mich glücklich machen?

Saarbrücken · Saarbrücker haben einen höheren Krankenstand als Menschen in anderen Regionen. Gesundheits- und Arbeitsmarktexperten geben Arbeitgebern eine große Mitschuld daran. Der Saarbrücker Wirtschaftspsychologe Andreas Hemsing will diese Thesen so nicht stehen lassen. Im Interview mit SZ-Redakteur Fabian Bosse sagt er, dass für das eigene Glück die Menschen selbst verantwortlich seien.

Herr Hemsing, bei den Krankenkassen im Saarland stehen Rückenleiden und psychische Erkrankungen an erster Stelle, wobei die psychischen Erkrankungen seit Jahren zunehmen. Was macht Menschen im Saarbrücken unglücklicher und ängstlicher?

Andreas Hemsing: Das stimmt so nicht. Die Zahl der Diagnosen wegen psychischer Erkrankungen ist stark gestiegen; dafür sind andere Diagnosen, die sich früher auf psychosomatische Symptome psychischer Erkrankungen bezogen, zurückgegangen. Diese Erkrankungen hat es schon immer gegeben, da unsere Arbeitswelt schon immer belastend war und weiter ist. In den vergangenen Jahrzehnten ist sehr viel zur Erleichterung und zum Schutz von Arbeit und Arbeitsbedingungen getan worden, was auch deutliche Wirkungen zeigt.

Warum sind die Zahlen dann im Regionalverband höher als in anderen Regionen?

Andreas Hemsing: Speziell für das Saarland gibt es einen Grund, der nicht so gern genannt wird: die hohe Ärztedichte, die wir noch aus der Zeit der Schwerindustrie haben. Damals waren diese vielen Ärzte wegen der hohen körperlichen Belastung in der Kohle- und Stahlindustrie notwendig, heute im Grunde nicht mehr. Die Schlussfolgerung daraus lautet: Viele Ärzte schaffen viele Kranke. Auch diese Berufsgruppe stellt eine Unternehmensbranche dar, die ihre Existenz zu schützen sucht.

Also ist in der Arbeitswelt alles in Ordnung?

Andreas Hemsing: Nein, natürlich gibt es auch einen Wandel in der Belastungssituation der Menschen. Die Problemfelder, mit denen wir immer wieder zu tun haben, liegen vornehmlich in der hohen Arbeitsverdichtung. Dieser Umstand ist letztlich dem hohen Kostendruck vor allem im produzierenden Gewerbe geschuldet. Von dort setzt sich der Kostendruck dann auf andere Branchen fort.

Als Zweites ist eine zunehmende Diskrepanz zwischen den Erwartungen und der Wirklichkeit im Unternehmen zu nennen. Die Menschen haben sich mental weiterentwickelt und haben eine höhere Erwartung an die Qualität ihrer Führung, wie zum Beispiel unangemessener Umgang mit den Menschen, Unklarheit der Erwartungen und Ziele oder fehlende Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten. Nur die wird jedoch oft nicht erfüllt. Es gibt ein zunehmendes Bedürfnis danach, in der eigenen Arbeit einen Sinn zu erkennen. Doch schaffen es viele Führungskräfte nicht, dieses Bedürfnis zu beantworten. Daraus entsteht eine schmerzliche Diskrepanz.

Ist das in unserer Region ausgeprägter?

Andreas Hemsing: Ob Menschen in Saarbrücken unglücklicher sind als woanders, vermag ich nicht zu bestätigen oder zu verneinen. Wenn wir allerdings tatsächlich auf die Stadt schauen, dann ist da natürlich eine überproportionale Häufung von Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung (Landes- und Stadtverwaltung) zu beobachten. Insbesondere in diesen Verwaltungen sind in den vergangenen Jahren subjektiv schmerzliche Einschnitte vorgenommen worden, und es werden weitere folgen. Daraus resultiert natürlich eine hohe Unzufriedenheit und psychische Belastung.

Was braucht es denn im Büro, in den Geschäften oder Fabriken, damit sich die Menschen besser fühlen? Muss die Wirtschaft die Menschen überhaupt glücklich machen?

Andreas Hemsing: Es kann nicht die Rede davon sein, das Unternehmen und Organisationen Menschen glücklich machen müssen. Sie sollten daran interessiert sein, die Erwartungen und grundlegenden Bedürfnisse der Menschen in Bezug auf Arbeit zu bedienen. Das führt zu steigender Motivation und Leistung sowie Bindung und Loyalität. Um glücklich zu sein, bedarf es im Leben mehr als nur einer "guten" Arbeit. Für das eigene Glück sind die Menschen selbst verantwortlich.

Dazu können Organisationen nur dadurch beitragen, dass sie den Menschen eine befriedigende Arbeit anbieten und den Raum, die Aspekte des Lebens in Einklang bringen.

Dies wird heute unter der Überschrift "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" zusammengefasst.

Was macht "befriedigende Arbeit" denn konkret aus?

Andreas Hemsing: Damit sind nicht vornehmlich Aspekte der materiellen Ausstattung am Arbeitsplatz und in der Entlohnung gemeint. Vielmehr kommt es auf inhaltliche Aspekte der Arbeit an, wie zum Beispiel interessante und fordernde Aufgaben, eine klare und konsequente Führung sowie eine wertschätzende Kommunikation und Information der Mitarbeiter über alle relevanten Aspekte des Unternehmens und der Arbeit.

Das Warten auf eine bessere Unternehmenskultur und wirtschaftliche Situation macht ja auch nicht glücklicher. Was können denn die Saarbrücker machen, um ihrem Glück auf die Sprünge zu helfen?

Andreas Hemsing: Das Streben nach dem persönlichen Glück liegt in der Hand der Menschen selbst. Das bedeutet zunächst mal, dass sie ihre Erwartungen an ihre Arbeitgeber reflektieren und gegebenenfalls revidieren. Wir bewegen uns in einer Zeit zunehmender Selbstverantwortung. Das ist für viele schwierig und ungewohnt, doch in der Komplexität der heutigen Welt unumgänglich. Jeder Einzelne hat die Möglichkeit, Entscheidungen darüber zu treffen, welche Dinge im persönlichen Leben Raum bekommen und welche nicht. Wer sich darüber beklagt, unglücklich zu sein, muss sich zunächst fragen, was trage ich selbst dazu bei.

Was meint Glück denn?

Andreas Hemsing: Glück oder Nicht-Glück ist doch oft das Ergebnis erfüllter oder unerfüllter Erwartungen und Wünsche sowie unserer Bedürfnisse. Glück ist jedoch kein passiver Zustand der Erfüllung von Erwartungen, Wünschen und Bedürfnissen, sondern ein aktiver Prozess der Verwirklichung dieser Dinge. Das bedeutet, dass ich mir als Mensch klar darüber sein muss, was konkret mich glücklich machen kann und wie ich aktiv dazu beitragen kann, diese Dinge zu erreichen. Wenn wir unseren Blick weiten, dann fällt uns auf, dass es uns blendend geht hier in Saarbrücken, im Saarland, in Deutschland, in Europa und dass wir uns glücklich schätzen dürfen. > Siehe auch Bericht auf .

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Zur PersonAndreas Hemsing (53) ist Wirtschaftspsychologe und Unternehmensberater aus Saarbrücken. Er hat hier Psychologie mit Nebenfach BWL (Personalmanagement) studiert. Er ist kein Psychotherapeut, sondern berät und coacht Unternehmen und Mitarbeiter. Er ist Landesvorsitzender des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen. fab

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