„Menschen dürfen nicht diskriminiert werden“

Auf Initiative des Saarlandes hat sich der Bundesrat für eine Lockerung des Blutspendeverbots für homosexuelle Männer ausgesprochen. Professor Hermann Eichler vom Homburger Uni-Klinikum gehört einer bundesweiten Arbeitsgruppe an, die die Risiken und Alternativen neu bewertet. Mit ihm sprach SZ-Redakteurin Ute Klockner.

 Schwule dürfen in Deutschland derzeit kein Blut spenden. Foto: dpa

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Das Blutspendeverbot in Deutschland für homo- und bisexuelle Männer könnte fallen. Würden Sie dies begrüßen?

Eichler: Ja, die meisten Experten und auch ich persönlich plädieren dafür, die lebenslange Sperre von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), in eine zeitlich befristete Rückstellung von der Blutspende umzuwandeln. In einigen Ländern, zum Beispiel den USA und Australien, ist dies auch bereits so umgesetzt. Eine Option wäre etwa, MSM erst zwölf Monate nach einem sexuellen Risikoverhalten zur Blutspende zuzulassen. Das ist aber noch nicht beschlossene Sache. Aber das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2015 legt fest, dass ein Dauerausschluss nur dann gerechtfertigt ist, wenn er als einzige Maßnahme geeignet ist, die Sicherheit von Blutspenden zu gewährleisten. Wenn es weniger einschneidende Maßnahmen gibt, wie etwa eine zeitlich befristete Rückstellung, seien diese zu wählen. Aktuell sind auch Männer von der Blutspende ausgeschlossen, wenn sie in sehr jungen Jahren einen einmaligen sexuellen Kontakt zu einem Mann gehabt hatten und dann nie wieder. Das macht medizinisch aber wenig Sinn.

Wie wird in Deutschland eine Entscheidung getroffen?

Eichler: Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern vom "Arbeitskreis Blut" (ihm gehören vom Bundesgesundheitsministerium benannte Experten an) und dem wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer , dem ich angehöre, überarbeitet gerade die epidemiologischen Daten für eine aktualisierte Stellungnahme. Diese soll bis Ende des Jahres vorliegen. Es ist bekannt, dass innerhalb der MSM-Gruppe weiterhin viele HIV-Neuinfektionen auftreten. In anderen Risikogruppen - etwa Drogenabhängige oder Sexarbeiter - sinkt die Anzahl der Neuinfektionen tendenziell oder ist stabil. In einigen EU-Ländern wurde die Rückstellungspraxis dennoch bereits gelockert, etwa in Schweden. In Deutschland herrscht die Rechtsauffassung, dass vor einer Änderung der Blutspende-Richtlinien zunächst noch eine Anpassung von einschlägigem EU-Recht erfolgen muss. Hier ist also auch die EU-Kommission gefordert.

Gibt es Erfahrungen aus Ländern, die bereits einen befristeten Ausschluss haben?

Eichler: Diese Daten werden gerade intensiv ausgewertet. Es würde mich aber nicht wundern, wenn in diesen Ländern die Akzeptanz der Zulassungskritierien insgesamt zunehmen würde. Und zwar deshalb, weil eine befristete Rückstellung nach sexuellem Risikoverhalten im Gegensatz zur Dauersperre nicht mehr als diskriminierend empfunden wird. Diese Akzeptanz der potentiellen Blutspender ist wichtig, denn ein Blutspendedienst muss sich auf die gesundheitlichen Angaben der Spendewilligen verlassen können. Daher macht eine erhöhte Akzeptanz der Rückstellungsgründe bei der Blutspende viel Sinn.

Theoretisch könnte jeder bei der Blutspende falsche Angaben machen. Für wie sicher halten Sie die Selbstauskunft durch die Fragebögen?

Eichler: Nicht nur ich halte den Gesundheits-Fragebogen für einen unverzichtbaren Bestandteil der Spenderauswahl, um sowohl Risiken für Empfänger als auch für Spender selbst zu erkennen. Die tägliche Praxis zeigt, dass die allermeisten Spender hier ausgesprochen genau sind, damit dem Arzt des Blutspendedienstes vollständige und verlässliche Angaben zur Verfügung stehen.

Das Verbot geht auf den "Blutskandal" von 1993 zurück. Damals infizierten sich mehrere Tausend Menschen in Deutschland durch Bluttransfusionen mit HIV. Könnte das heute bei lascheren Gesetzen genauso passieren?

Eichler: Nein. Wir haben heute eine komplett andere Situation. Als das HI-Virus Anfang der 80er Jahre in die Spenderpopulation einbrach, gab es noch kein Testverfahren, um das Virus überhaupt nachzuweisen. Die Angst, dass, wenn wir den Dauerausschluss in eine zeitlich befristete Rückstellung umwandeln, plötzlich vermehrt Krankheitserreger in Blutkonserven kommen, ist daher absolut unbegründet. Jede Blutspende wird intensiv auf Infektionserreger getestet und erst zur Transfusion freigegeben, wenn alle Befunde negativ sind. Auch die Daten des Paul-Ehrlich-Instituts zu Infektionen nach Bluttransfusionen belegen, dass das Infektionsrisiko für den einzelnen Patienten verschwindend gering ist. Für eine HIV-Infektion etwa liegt dieses Risiko bei weniger als eins zu vier Millionen. Wichtig aber ist, dass Personen mit einem erhöhten Infektionsrisiko auch in Zukunft kein Blut spenden.

Gegner der Lockerung verweisen auf die statistisch höhere Infektionsrate . Wird in der aktuellen Debatte zugunsten der politischen Korrektheit auf Sicherheit verzichtet?

Eichler: Auf keinen Fall! Das würden wir Transfusionsmediziner nicht akzeptieren. Wir wollen die verschiedenen Aspekte im Zusammenhang mit der Blutspende aber richtig gewertet wissen. Menschen dürfen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung keinesfalls diskriminiert werden, sie sollen sich durch notwendige medizinische Entscheidungen aber auch nicht diskriminiert fühlen. Deswegen ist die sehr öffentlich und transparent geführte Debatte zur Frage einer möglichen Zulassung von MSM zur Blutspende wichtig und gut.

Wird eine Lockerung deutlich mehr Blutspender bringen?

Eichler: Das glaube ich eher nicht. Zurzeit spenden bundesweit nur rund vier Prozent der spendefähigen Bevölkerung tatsächlich Blut. Ob sich dieser Anteil durch eine grundsätzliche Öffnung der Blutspende für MSM relevant steigern lässt, darf bezweifelt werden.

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