„Mein Glas ist immer halb voll“

Saarbrücken · Wer im Rentenalter ist, mag Ruhe und Fernsehen genießen. Es gibt aber auch Leute jenseits der 60, die im Erwerbsleben bleiben. Sie genießen es, zu arbeiten und gebraucht zu werden. Wirtschaftsministerium und Industrie- und Handelskammer betreiben sogar eine Servicestelle „Ü 55“, um Mittelständlern die Potenziale älterer Arbeitskräfte näherzubringen. Sinnigerweise ist deren Leiterin, Birgit Steiner, auch Rentnerin. Eigentlich.

 Birgit Steiner ist im Rentenalter und arbeitet weiter, weil sie voller Energie ist und viel Freude an ihrem Job hat.

Birgit Steiner ist im Rentenalter und arbeitet weiter, weil sie voller Energie ist und viel Freude an ihrem Job hat.

Foto: Becker&Bredel

Für Birgit Steiner ist Arbeit "keine Last, sondern Freude, Lebensfreude, existenziell". Die 65-Jährige, die oft für zehn Jahre jünger gehalten wird, ist seit 1. April eigentlich Rentnerin. Ihr Arbeitgeber hatte ihr aber noch einen Zweijahresvertrag obendrauf angeboten. Da griff sie natürlich zu.

Seit sechs Jahren leitet die in Kaiserslautern geborene Betriebswirtin die Servicestelle "Ü 55", die vom saarländischen Wirtschaftsministerium und der Industrie- und Handelskammer als Projekt eingerichtet wurde. Aufgabe ist es, mittelständischen Firmen die Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer zu verdeutlichen. Konkret: Wie kann ich solche qualifizierten Menschen möglichst lange produktiv und gesund in der Firma halten, so dass es für beide Seiten von Vorteil ist?

Birgit Steiner kann die tollsten Geschichten von Männern und Frauen aus den unterschiedlichsten Branchen erzählen, die teilweise schon aufs Abstellgleis geschoben waren, die aber durch Wertschätzung und Begegnung auf Augenhöhe doch noch großartige Leistungen erbringen durften und dabei selbst aufblühten.

Birgit Steiner hat beruflich schon außergewöhnlich viel bewegt, ihre Karriere wäre fast schon etwas für einen Roman oder Film: Sie startete als Projektentwicklerin in der Immobilienbranche, immer auf der Suche nach größtmöglichen Renditen für Investoren. 1997 dann eine Kehrtwende, nachdem ihr klar geworden war, dass es "das" nicht für immer sein könne. "Ich wollte für Menschen arbeiten, statt für Zahlen", erklärt sie ihre Neuorientierung.

Sie arbeitete bei einem Verein für Bewährungshilfe, als Dozentin in der Weiterbildung und coachte für Autohersteller und Versicherungen Führungskräfte des mittleren Managements, für die man neue Aufgaben suchte. Dann kam der Ruf ins Saarland, bis heute Vollzeit, viel Außendienst, viel Überzeugungsarbeit. Andere würden müder und müder dabei, Birgit Steiner trifft man stets mit der gleichen Souveränität, Freundlichkeit und Begeisterung an, die Augen der Powerfrau sind immer am Funkeln. "Mein Glas ist immer halb voll", beschreibt sie die Herangehensweise an die Klippen des Alltags.

Und was wird sein, wenn sie mal nicht mehr im Erwerbsleben stehen kann oder darf? Auch dafür gibt es bereits einen Plan B: Ehrenämter, politische Betätigung, Betreuung einer lieben älteren Dame. Und da sind das Haus mit dem Garten und tausende Bücher. Aber noch ist Birgit Steiner mit ihrem leidenschaftlichen Eintreten für "die Üs", wie sie die älteren Arbeitnehmer nennt, noch lange nicht am Ende.

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