„Man muss die Zentren stärken“

Wann immer es um den demografischen Wandel geht, ist Reiner Klingholz in der Öffentlichkeit einer der Wortführer. Der Direktor des unabhängigen Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung schreckt auch vor provokanten Thesen nicht zurück. Dem Saarland rät er zum Beispiel, die Zahl der Landkreise auf ein oder zwei zu reduzieren. Klingholz beantwortet die Fragen von SZ-Redakteur Daniel Kirch.

 Reiner Klingholz

Reiner Klingholz

Foto: Berlin-Institut

Ist der starke Einwohnerrückgang im Saarland eine Gefahr für die Eigenständigkeit des Landes oder vielleicht auch eine Chance?

Klingholz: Weniger und ältere Einwohner bedeuten weniger Einnahmen, während die Kosten nicht sinken. Es kann sogar passieren, dass bei einer Unternutzung der Infrastruktur, von Schulen, Kläranlagen oder Ämtern zusätzliche Kosten entstehen. Das bedeutet angesichts der Finanzlage des Saarlands eine große Herausforderung.

Vom Bevölkerungsrückgang ist der ländliche Raum besonders stark betroffen. Sind gleiche Lebensbedingungen in der Stadt und auf dem Land vor diesem Hintergrund überhaupt realistisch?

Klingholz: Das Grundgesetz spricht von "gleichwertigen" Lebensbedingungen und deutet damit schon an, dass "gleich" unmöglich ist. De facto haben wir in Deutschland eine Vielfalt der Lebensbedingungen und das bedeutet, dass in vielen ländlichen Gebieten nicht die gleichen Normen und Regeln gelten sollten wie in den Zentren, denn unter diesem Anspruch ließe sich kaum noch eine Versorgung finanzieren. Die ländlichen Gebiete brauchen mehr Freiheiten.

Was bedeutet der demografische Wandel für die Landeshauptstadt Saarbrücken, deren Einwohnerzahl noch relativ konstant bleibt?

Klingholz: Überall in Deutschland stabilisieren sich derzeit die größeren, erfolgreichen Städte , weil sie junge Menschen anziehen, die einen Ausbildungsplatz, einen Job oder kulturelle Angebote sichern. Das ist auch eine Folge des steigenden Bildungsniveaus, welches eine Notwendigkeit in einer Wissensgesellschaft ist. Die Städte bleiben damit jung und wettbewerbsfähig. Die bittere Wahrheit ist aber auch, dass sich die Städte zulasten der ländlichen Gebiete stabilisieren.

Das heißt, die finanzielle Förderung des Landes müsste sich stärker auf das Oberzentrum Saarbrücken und die Mittelzentren (Neunkirchen, Völklingen, Homburg, Blieskastel, St. Ingbert, Saarlouis, Dillingen, Lebach, St. Wendel, Merzig und Wadern) konzentrieren?

Klingholz: Man muss die Mittel- und Oberzentren stärken, denn sie sind für die Versorgung in der Fläche verantwortlich, mit Berufs- und weiterführenden Schulen, mit Ämtern oder Krankenhäusern und so weiter. In den kleinen Orten ist eine solche Infrastruktur nicht zu bezahlen. Schwächen wir die Zentren, leidet die ganze Region.

Welche Konsequenzen sollte der Bevölkerungsrückgang aus Ihrer Sicht für die politischen Strukturen haben? Braucht das Saarland eine Reform der Kreis- oder Gemeindegebiete?

Klingholz: Das muss das Saarland prüfen. Es ist von außen nicht unbedingt verständlich, dass man sich hier sechs Kreisverwaltungen leistet. Der größte Kreis in Deutschland, die Mecklenburgische Seenplatte, ist immerhin doppelt so groß wie das ganze Saarland und auch er ist als Anpassung an den demografischen Wandel entstanden. Man sollte eine mögliche Kreisreform ohne Scheuklappen durchkalkulieren. Wenn dann dabei rauskommt, dass das ganze Bundesland bei großen Einsparungen mit ein oder zwei Kreisen existieren kann, wäre das ein klares Signal nach Berlin: Wir erkennen unsere Probleme und wir reagieren autonom. Ein starker, aber schlanker Saarland-Kreis hätte zudem eine bessere Verhandlungsposition bei einer Länderfusion, die immer wieder im Gespräch ist.

Reiner Klingholz spricht morgen ab 18 Uhr im Festsaal des Saarbrücker Rathauses bei einer Veranstaltung mit dem Titel "Abschied von der Gleichwertigkeit? - Prinzipien einer nachhaltigen Landesplanung". Anschließend diskutiert er mit der Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz, dem Leiter der Landesplanung im Innenministerium, Hans-Jörg Rupp, und dem Leiter der Projektgruppe Demografischer Wandel im Bundesverkehrsministerium, Bernd Rittmeier.

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