Männer mit Rundumblick

Homburg/Saarbrücken. Wenn der saarländische Verdi-Chef Alfred Staudt als Streikführer Stellung auf der Straße bezieht, dann trägt er an kalten Tagen bevorzugt eine leuchtende, wetterfeste, höchst praktische Überjacke. Die stammt nicht aus dem Fundus der Gewerkschaft, sondern ist ein Arbeitsgerät aus seinem ersten Beruf

 Verdi-Chef Alfred Staudt bei einer Demo - natürlich in Straßenwärterjacke. Denn er war selbst einmal Straßenwärter. Foto: rup

Verdi-Chef Alfred Staudt bei einer Demo - natürlich in Straßenwärterjacke. Denn er war selbst einmal Straßenwärter. Foto: rup

Homburg/Saarbrücken. Wenn der saarländische Verdi-Chef Alfred Staudt als Streikführer Stellung auf der Straße bezieht, dann trägt er an kalten Tagen bevorzugt eine leuchtende, wetterfeste, höchst praktische Überjacke. Die stammt nicht aus dem Fundus der Gewerkschaft, sondern ist ein Arbeitsgerät aus seinem ersten Beruf. Der Schmelzer Alfred Staudt war, wie schon Vater, Großvater und Bruder, Straßenwärter, und er ist bis heute stolz darauf. Damit steht er nicht allein. Straßenwärter, früher hier zu Lande gern auch Chausseewärter genannt, zuständig für Kontrolle und Instandsetzung der Straßen, pflegen im Saarland einen berufsständischen Gemeinschaftsgeist über die Generationen hinweg, den man in dieser Ausprägung bei anderen Branchen nicht findet. Der frühere Straßenwärter und spätere Heilpraktiker Josef Georg aus Eppelborn-Bubach hat die emotionale Bindung der Männer an ihre Arbeit sogar in einem Buch ("Der Straßenwärter früher und heute") beschrieben. Dass die Söhne von Straßenwärtern ebenfalls "auf die Straße" ("off de Strooß") schaffen kamen, war keine Seltenheit. Hier, im öffentlichen Dienst, verdienten sie zwar nicht so viel wie bei Backes oder Dittgen am Tiefbau, die Arbeit war aber abwechslungsreicher und absolut krisensicher. Und nach Feierabend konnten sich die handwerklich meist vielfach begabten Ordnungshüter der Verkehrswege auf ihren privaten Baustellen nützlich machen. Helmut Abel, heute 81, früher Personalratsvorsitzender im Staatlichen Straßenbauamt, dem Vorläufer des heutigen Landesbetriebes für Straßenbau, erinnert sich, dass er und seine Kollegen bei Einstellungen immer Wert darauf gelegt hatten, dass die Kinder der Straßenwärter berücksichtigt wurden.Traditionsreicher BerufDer traditionsreiche Beruf erfuhr mit zunehmender Motorisierung der Bevölkerung und dem Ausbau des Straßennetzes einen dynamischen Wandel. Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hatte jeder Straßenwärter eine ihm persönlich zugeteilte Strecke von fünf bis acht Kilometern Länge zu betreuen. "Im Sommer habe ich vier Monate gemäht, mit der Sense", erinnert sich der Lebacher Gerhard Schäfer. Im Winter war es für den verantwortungsbewussten Straßenwärter Ehrensache, seinen Abschnitt möglichst schneefrei zu halten. Gestreut wurde mit der Schippe von der Ladefläche des Lastwagens. Mitte der 60er Jahre setzte sich das Kolonnensystem durch, der Straßenwärter bekam immer bessere Maschinen und Geräte an die Hand, die ihm die Arbeit erleichterten oder gar erst ermöglichten: Mäher, Unimog, Pflüge, Bagger. Zunehmend war der Straßenwärter auch als Landschaftsgärtner, Verkehrssicherheitsbeauftragter und Unfallfolgen-Beseitiger gefragt. Das wiederum erforderte neue Kenntnisse, auch in rechtlichen Fragen. Unter Verantwortung des damaligen Umweltministers Günther Schacht (CDU) beschloss die saarländische Landesregierung als eine der ersten Deutschlands, den Straßenwärterberuf seiner Bedeutung gemäß aufzuwerten und zum Ausbildungsberuf zu erheben. Bis dato waren alle Straßenwärter Seiteneinsteiger aus Berufen wie Pflasterer, Maurer oder auch Maler gewesen und wurden intern ausgebildet. Am 1. September 2010 jährt sich zum 40. Mal der Tag, an dem die ersten Straßenwärterlehrlinge eingestellt wurden, damals waren es 24, so viele wie nie mehr. In Folge diverser Neuorganisationen, steigender Produktivität und Auslagerung von Arbeit an Privatfirmen wurden in etlichen Jahren gar keine Azubis genommen, so etwa von 1999 bis 2009 keiner. Im Jubiläumsjahr 2010 wurden wieder zehn junge Leute eingestellt, übrigens auch Mädchen. Irgendein Anlass für Glorifizierung und Wehmut? Das nicht, sagt Alfred Staudt, der mit Bruder Arnold zu den Lehrlingen der ersten beiden Jahren gehört hatte: "Jede Zeit hat ihre Lösungen" - und der Straßenwärterberuf hat vielleicht nicht mehr die Bedeutung und das Ansehen von früher. Gerhard Deutsch aus Bischmisheim, einst Lehrgangsbester, findet es schade, dass die schwere Tag- und Nachtarbeit der Straßenwärter nicht adäquat gewürdigt werde. Sie habe aber auch sehr viel Freude gemacht. Und der Beruf des Straßenwärters hat die Männer Dinge gelehrt, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann. So guckt Alfred Staudt, bevor er eine Straße ("den Straßenkörper", wie er sagt) betritt, immer, wirklich immer, nach links und rechts. Diesen lebenserhaltenden Rundumblick hatte ihm sein Ausbilder ans Herz gelegt. Straßenwärter leben lang! "Im Sommer habe ich vier Monate gemäht, mit der Sense."Gerhard Schäfer

 Ein Blick in die Vergangenheit: die Belegschaft der Straßenmeisterei anno 1955. Foto: privat

Ein Blick in die Vergangenheit: die Belegschaft der Straßenmeisterei anno 1955. Foto: privat

 Der Streudienst im Winter bedeutete im Jahr 1962 vor allem Handarbeit. Foto: privat

Der Streudienst im Winter bedeutete im Jahr 1962 vor allem Handarbeit. Foto: privat

 Straßenwärter-Auszubildende des Jahres 2010. Sie lernen einen traditionsreichen Beruf. Foto: LfS

Straßenwärter-Auszubildende des Jahres 2010. Sie lernen einen traditionsreichen Beruf. Foto: LfS

StichwortStraßenwärter ist seit 40 Jahren ein Ausbildungsberuf im Saarland. Die Lehrzeit beim Landesbetrieb für Straßenbau dauert drei Jahre. Straßenwärter kontrollieren das Straßennetz, setzen Fahrbahndecken in Stand, halten Entwässerungsanlagen funktionsfähig, pflanzen und pflegen Bäume, Grünanlagen und Biotope, stellen Verkehrszeichen und Leiteinrichtungen auf, sorgen im Winter für verkehrssichere Straßen. Ein Erwerb des Lkw-Führerscheins ist Bestandteil der Ausbildung, für die Hauptschulabschluss Bedingung ist. wp

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