Lupenreiner Jazz mit Ecken und Kanten

Saarbrücken. Vor drei Jahren war die neue CD noch Zukunftsmusik - jetzt ist sie da: "Very late" heißt das gute Stück, erschienen bei Laika, einem renommierten Label für Weltmusik und Jazz, und bietet "100 Prozent Jazz"

Saarbrücken. Vor drei Jahren war die neue CD noch Zukunftsmusik - jetzt ist sie da: "Very late" heißt das gute Stück, erschienen bei Laika, einem renommierten Label für Weltmusik und Jazz, und bietet "100 Prozent Jazz". Keine "skandinavische Elfenmusik", frozzelt Sängerin Kirsti Alho und zielt damit auf diverse derzeit angesagte nordische Sängerinnen, die sich mit dem Etikett Jazz schmücken, aber eher dem Pop-Sektor zuzurechnen sind.

Die Künstlerin hat den Silberling in einem Studio in Finnland aufgenommen, der Heimat Alhos und ihres Duo-Partners, des jungen Ausnahme-Pianisten Tuomas Kauppi. Kauppi lebt auch im hohen Norden und reist nur für Live-Konzerte an; Alho dagegen ist seit gut 20 Jahren im Saarland heimisch.

In Helsinki studierte sie Klavier und Gesang und wurde als Schauspielerin und Moderatorin in verschiedenen finnischen Radio- und Fernsehproduktionen bekannt, bevor sie ihre Karriere als professionelle Jazz-Sängerin startete und als international gefragte Solistin mit bekannten Musikern wie Horace Parlan, Horst Jankowski, Charly Antolini, Siegfried Kessler oder dem Umo-Jazzorchestra zusammenarbeitete. Gern lässt sie sich auch von Saxofon-Altmeister Archie Shepp begleiten, mit dem es sich prächtig über musikalisches Schubladendenken schimpfen lässt.

Einen sehr guten Ruf genießt die Wahlsaarländerin auch als Gesangslehrerin, so unterrichtet sie etwa an der Musikschule Kaiserslautern. Ihre Schüler bestärkt sie darin, ihre eigene Stimme zu finden, damit sie nicht in einer "mittelmäßigen Soundwelt" untergehen wie tausend andere auch - austauschbar, ohne Wiedererkennungswert. "Manieristische Sachen sind furchtbar", stöhnt Alho. Kitsch und falsche Sentimentalität kann sie ebenfalls nicht ausstehen. "Ich brauche Ecken und Kanten!" Daher schätzt sie auch provokante Sangeskolleginnen wie Pink, Lady Gaga oder Amy Winehouse. "Gehirngewaschene 'Everybody's Darlings' machen mich aggressiv." Da ist es nur konsequent, dass sie gar nicht will, dass ihre neue CD allen gefällt. Denn "Very Late" enthält "urbane Musik in lupenreiner Bebop-Tradition", wie Alho es ausdrückt - keine Piano-Bar-Berieselungsmusik und nicht unbedingt geeignet für die Ohren eines Herrn Jedermann.

Neun Titel sind darauf zu hören: Kompositionen von Kauppi, zu denen Alho englische Texte verfasst hat, aber auch Interpretationen von Archie Shepp, Thelonious Monk und Bearbeitungen finnischer Volkslieder. Aufregen kann sich die quirlige Finnin auch über fehlgeleitete Kulturpolitik: "Musikkapitalismus" nennt sie es, wenn nicht die freie Szene, sondern kommerzielle Selbstläufer gefördert werden. Graue Haare dagegen machen ihr weniger zu schaffen: "Älterwerden ist nicht schlimm - schlimm ist nur, wenn man sich nicht verändert und nichts dazulernt."

Die CD "Very late" kann bei Kirsti Alho bestellt werden unter kialho@aol.com

"Gehirngewaschene 'Everybody's Darlings' machen mich aggressiv."

Jazzsängerin Kirsti Alho

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