Klang, der aus dem Kabel kommt

Saarbrücken · Ein Herzstück des Perspectives-Festivals ist der grandios-verwunschene Club auf dem Geländer der ehemaligen Becolin-Fabrik. Hier wurden am Mittwoch „Les Vieilles Pies“ gefeiert. Und am Samstag legt hier unter anderem der Saarbrücker Sound-Tüftler Toni Tress alias Thorsten Kraus auf. Der hat gerade richtig Erfolg mit seiner Komposition „Katzenkralle“.

 Ein magischer Ort ist am Römerkastell entstanden. Beim Festival treffen dort Musiker und Musik-Designer aufeinander. Foto: Rich Serra

Ein magischer Ort ist am Römerkastell entstanden. Beim Festival treffen dort Musiker und Musik-Designer aufeinander. Foto: Rich Serra

Foto: Rich Serra
 Sein Instrument ist der Computer: Thorsten Kraus alias Toni Tress alias Erlenbrunn. Foto: Oliver Dietze

Sein Instrument ist der Computer: Thorsten Kraus alias Toni Tress alias Erlenbrunn. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Der Bass brummt, Trommeln und Streicher mischen sich in die Melodie, wenig später durchschneiden Synthesizer die mächtige Tonkulisse. "Das peitscht richtig", findet Toni Tress. Der Technosong, der aus den Boxen prescht, ist nicht irgendein Lied, sondern seine eigene Komposition "Katzenkralle". Mit bürgerlichem Namen heißt der 35-jährige DJ, Produzent und Veranstalter eigentlich Thorsten Kraus und ist einer der Köpfe rund um das Saarbrücker Künstlerkollektiv "Marie22 Komplex". "Doch Thorsten Kraus nennt mich heute keiner mehr", sagt er, "die meisten kennen mich als Toni Tress oder unter meinem anderen Künstlernamen Erlenbrunn."

In der Technoszene sei es durchaus üblich, mehrere Namen parallel zu führen, weil man so die verschiedenen Musikprojekte besser trennen könne, erklärt er. Derzeit aber vereinen sich seine beiden Alter Egos auf dem Album "Bass for Days" des Stuttgarter Technomusikers Autodidact. "Das ist das Stück ,Katzenkralle', das ich unter Erlenbrunn veröffentlich habe", sagt er und wechselt dann zu dem anderen Lied , "Cuts on grass", das unter Toni Tress erschienen ist. Tonis Kopf wippt den Beat mit, er grinst und ist sichtlich zufrieden. Gerade feiert er nämlich einen unerwarteten Erfolg: Das Album von Autodidact schoss auf dem Online-Musikstore "Beatport", der bekanntesten Plattform für elektronische Musik, für 19 Tage auf Platz eins der amerikanischen Verkaufscharts.

Wie oft das Album runtergeladen wurde, weiß Toni nicht: "Wir haben noch keine Abrechnung. Aber es ist für uns jetzt schon ein Riesenerfolg, denn das Album ging von ganz allein durch die Decke: ohne Werbung, ohne Tour und ohne Videos." Gibt's eine Erklärung für den Erfolg? "Ja", sagt er, "gute Musik setzt sich immer durch."

Ein wenig Glück gehöre allerdings auch dazu. "Für mich war es schon ein Glücksfall, dass ich überhaupt mit zwei Songs auf das Album gerutscht bin. Ich kenne Andres Klein, also Autodidact, der als DJ auch unter dem Namen Ackermann auftritt, schon viele Jahre. Wir sind sehr gut befreundet. Letztes Jahr hab' ich ihn besucht, und wir haben gemeinsam gejammt. Das ist bei uns nicht anders als bei Bands, nur, dass wir eben nicht auf der Gitarre rumzupfen, sondern an Musikprogrammen am Rechner. Als er mich fragte, ob ich zwei Stücke zusteuern will, hab' ich natürlich Ja gesagt." Als Musiker will Toni Tress sich dennoch nicht bezeichnen, "ich bin eher Sounddesigner".

Obwohl ihn der große Erfolg in den USA überraschte, habe er nie daran gezweifelt, dass "professionell Musik machen für mich der richtige Weg ist". Mit 16 begann er aufzulegen, "damals schon Techno"; nach Schule und Zivildienst absolvierte er aber erst eine Ausbildung zum Werbekaufmann. 2001 entschied er sich, seinen Bürojob an den Nagel zu hängen und einen "unkonventionelleren Weg" einzuschlagen. Statt im Büro tüftelt er heute mit seinen drei Kollegen im Tonstudio von "Marie22 Komplex" in einem Hinterhaus in der Großherzog-Friedrich- Straße. "Das hier ein richtiges Künstlerhaus. Die Band um Stephan Goldmann hat hier ihren Proberaum, Maler Michael Mootz sein Atelier, dazu kommt noch Fotograf Christian Lang." Das Gute an dem kreativen Umfeld und seiner Arbeit sei, "dass man sich jeden Tag neu erfinden kann".

Am Samstag, 31. Mai, ist Toni Tress beim Club-Programm im Festivalclub der Perspectives am Römerkastell (Eingang über den Höll-Parkplatz am Lyonerring). Um 22 Uhr beginnt der Abend im Theatersaal mit einem Konzert der HipHop-Swingband Azad Lab. In den anderen Räumen legen DJs auf.

Die Klarinette macht uns den seufzenden Klezmer, die Geige geht ab wie bei Didier Lockwood, der Kontrabass brummt warm, und das perlende Knopfakkordeon sorgt für eine Prise Musette.

Es war mal wieder diese unwiderstehliche, typisch französische Mischung, mit der Gabriel Saglio & les Vieilles Pies am Mittwoch im Perspectives-Festivalclub aufspielten. Um die gut 200 Zuhörer wippten und tanzten, und keiner maulte, als die Band aus Rennes mit einer glatten Stunde Verspätung erschien.

Frontmann Saglios Stimme klingt immer ein bisschen kratzig-rebellisch, nicht nur, wenn er von ausgesperrten Flüchtlingen vor der Festung Europa singt. Arthur-Rimbaud-Gedichte kombiniert er mit Bossa, gibt Georges Brassens eine rockige Vitaminspritze und macht auch vor Blues und Rap nicht halt. Seine fünf jungen "alten Elstern" an den Instrumenten dürfen auch ausgiebig solistisch brillieren.

Auch nach dem Konzert gab es noch eine Überraschung auf dem Club-Gelände: Die "Clockwork"-Artisten gaben vor den Lichtspielen der Kunststudenten eine akrobatische Einlage. Und weil's ja dunkel war, fielen sogar kurz die Hüllen.

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