Kein Schutz gegen Kinderlähmung an der Saar?

Saarbrücken · Gesundheitsministerin Bachmann (CDU) empfiehlt Bürgern sich impfen zu lassen. Das gestaltet sich aber schwierig, denn einige Impfstoffe, insbesondere für Kinder, sind seit Monaten nicht verfügbar.

 Im Saarland ist es zur Zeit schwer, sich gegen bestimmte Krankheiten impfen zu lassen. Foto: Fotolia

Im Saarland ist es zur Zeit schwer, sich gegen bestimmte Krankheiten impfen zu lassen. Foto: Fotolia

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"Impflücken schließen" lautete das Motto der Europäischen Impfwoche, die gerade zu Ende ging. Auch Saar-Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU ) empfiehlt aus diesem Anlass, sich impfen zu lassen. Genau das wollte die Saarbrückerin Caterina Tankoua mit ihrem zwölfjährigen Sohn tun - bisher jedoch ohne Erfolg. Der Grund: "Es gibt seit Monaten keinen Impfstoff", berichtet Tankoua. Bei ihrem Sohn war die Impfung gegen Polio (Kinderlähmung ) fällig, laut Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) soll sie alle zehn Jahre aufgefrischt werden. Deshalb waren Mutter und Sohn bereits im August vergangenen Jahres beim Kinderarzt - und wurden vertröstet: Der Impfstoff sei derzeit nicht lieferbarAls die beiden vor drei Wochen erneut beim Kinderarzt vorstellig wurden, gab es immer noch keinen Impfstoff.

Von "Zuständen wie in der DDR" spricht Karl Stiller, Vorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte im Saarland. Seit Monaten gebe es Engpässe bei Impfstoffen, bestätigen er und weitere Kinderarztpraxen und Apotheken im Saarland der SZ. Insbesondere betroffen seien der Polio-Monoimpfstoff sowie eine Fünffach-Impfung für Kleinkinder und Säuglinge gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Polio und ein antibiotika-resistentes Bakterium (HIB). In der Praxis des Saarbrücker Kinderarztes Holger Wahl gibt es deshalb mittlerweile sogar eine Warteliste. .

"Solange hier in Europa keine Polio-Epidemie ausbricht, muss man sich deshalb keine Sorgen machen", sagt Karl Stiller. "Wenn die Krankheit aber etwa aus anderen Ländern hier eingeschleppt wird, können wir gar nichts machen." Also nochmal Glück gehabt? Laut Robert-Koch-Institut liegt die Impfquote für Polio bei 95 Prozent. In den vergangenen Jahren sei nicht etwa fehlender Impfstoff der Grund für zum Beispiel Masern-Ausbrüche gewesen, sondern die mangelnde Impfbereitschaft einzelner Eltern, sagt eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI).

Das PEI führt seit vergangenem Herbst auf seiner Homepage eine Liste über Lieferengpässe bei Impfstoffen. Insgesamt 26 Präparate sind dort gelistet, darunter neun, die derzeit gar nicht erhältlich sind. Für die meisten gebe es aber Alternativen, so das PEI. Die Produktion von Impfstoffen ist ein langwieriger Prozess - die reine Herstellung kann laut Herstellern bis zu 26 Monate in Anspruch nehmen. Für den deutschen Markt gibt es genau zwei Unternehmen, die Impfstoffe herstellen: Der britische Pharmakonzern GlaxoSmithKline und Sanofi Pasteur MSD mit Hauptsitz in Frankreich.

Die Pharmaunternehmen produzieren genau nach aktuellem Bedarf. "Schon der kleinste Verdacht einer Unregelmäßigkeit bei der Herstellung kann zur Vernichtung einer ganzen Charge führen", sagt Michaela Dworatzek, Sprecherin von Sanofi Pasteur MSD. Fällt eine Produktionscharge aus oder erhöht sich irgendwo auf der Welt die Nachfrage, kommt es schnell zu Engpässen. "Da reicht es schon aus, wenn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine bestimmte Empfehlung ausspricht", sagt Kinderarzt Karl Stiller. Vor rund zwei Jahren brach die fast totgeglaubte Kinderlähmung unter anderem im bürgerkriegserschütterten Syrien aus. Mehrere Länder reagierten nach einer WHO-Empfehlung mit Impfkampagnen. Millionen von Kindern wurden geimpft. Die Folgen bekämen nun auch Familien im Saarland zu spüren, sagt Stiller.

Stiller fordert die Politik auf, für Impfstoff-Reserven zu sorgen. "Wir erleben ja immer wieder, dass Impflücken nicht geschlossen werden. Derzeit tragen wir Ärzte das Risiko dafür ganz allein", kritisiert Stiller. Die Landesregierung dürfte von dieser Idee nur wenig begeistert sein. Denn eine Bevorratung von Impfstoffen kam das Saarland schon einmal teuer zu stehen: Wegen der Schweinegrippe waren 2009 hunderttausende Impfstoffdosen angeschafft worden - doch nur jeder vierte Saarländer ließ sich immunisieren. Impfdosen im Gesamtwert von 774 690 Euro mussten deshalb verbrannt werden.

Der Fünffach-Impfstoff für Kleinkinder soll voraussichtlich Ende Juni wieder verfügbar sein, ein Alternativpräparat im Januar 2017. Für den Polio-Impfstoff übersteige die aktuelle Nachfrage die vorhandenen Kapazitäten, wodurch der Bedarf nicht vollständig abgedeckt werden könne, aber: "Vorige Woche wurden wieder Impfdosen ausgeliefert", sagt die Sprecherin von Sanofi Pasteur MSD. Für Caterina Tankoua und ihren Sohn gibt es also Hoffnung.

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