Prozess Justizopfer rechnet mit Schmerzensgeld

Das Urteil des Sachverständigen zur Arbeit einer Kollegin fällt vernichtend aus: Ihr Gutachten, das einen Saarländer zwei Jahre unschuldig ins Gefängnis brachte, sei „grob fahrlässig“ gewesen. Jetzt hofft der 74-Jährige auf Schadenersatz.

 Norbert Kuß, der zwei Jahre unschuldig im Gefängnis saß und nun Schmerzensgeld von der Gutachterin fordert, trägt am 19.10.2017 im Oberlandesgericht in Saarbrücken mit seiner Anwältin Daniela Lordt Prozessakten aus dem Gerichtssaal.

Norbert Kuß, der zwei Jahre unschuldig im Gefängnis saß und nun Schmerzensgeld von der Gutachterin fordert, trägt am 19.10.2017 im Oberlandesgericht in Saarbrücken mit seiner Anwältin Daniela Lordt Prozessakten aus dem Gerichtssaal.

Foto: dpa/Kaja Sponholz

Seit Jahren kämpft Justizopfer Norbert Kuß um Schadenersatz. Jetzt deutet sich an, dass das Oberlandesgericht in Saarbrücken dem 74-Jährigen Schmerzensgeld zusprechen wird. „Das Thema grobe Fahrlässigkeit scheint klar zu sein“, stellte der Vorsitzende Richter am Donnerstag bei der Berufungsverhandlung fest. Zuvor hatte der Rechtspsychologen Max Steller seine Stellungnahme zu einem früheren Gutachten vorgelegt, das Kuß zwei Jahre lang unschuldig hinter Gitter gebracht hat. Der Richter machte zudem klar, dass der dem Einwand der Verteidigung, der Fall sei verjährt, wohl nicht folgen wird.

Im Mittelpunkt stand an diesem Verhandlungstag die Frage, ob eine Homburger Psychologin in ihrem Glaubwürdigkeitsgutachten der Belastungszeugin gravierende Fehler gemacht hat. Auf der Grundlage ihrer Expertise war der frühere Bundeswehrbeamte im Mai 2004 vom Landgericht Saarbrücken wegen schweren sexuellen Missbrauchs seiner damaligen Pflegetochter zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Die Gutachterin hatte die Aussagen des lernbehinderten Mädchens als „mit hoher Wahrscheinlichkeit glaubhaft“ eingestuft. Fast zwei Jahre saß Kuß unschuldig im Gefängnis, bevor das Urteil in einem Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben wurde.

Der Sachverständige Steller, mit dem das Gericht nach Ansicht des Richtes „eine exzellente Gutachterwahl“ getroffen und nun „in jedem Fall eine ordentliche Entscheidungsgrundlage“ habe, stellte der Arbeit der Kollegin ein vernichtendes Urteil aus. „Es tut mir leid, das so grob zu sagen“, räumte Steller ein, aber er habe „erhebliche ergebnisrelevante Mängel“ bei der Beurteilung festgestellt. „Auf allen Ebenen fehlen Argumentationen, was dafür und was dagegen spricht.“ Die Schlussfolgerung, dass die Zeugin eine hohe Glaubwürdigkeit habe, stimme nicht mit dem Bericht überein.

Frühere Geschlechtserfahrungen des Mädchens seien unzureichend berücksichtigt worden, berichtete Steller. Zudem gebe es Hinweise auf eine hohe Lügenmotivation und Lügenkompetenz. Er sehe jetzt eher die Tendenz, bei der damaligen Pflegetochter „in Richtung negative Glaubhaftigkeit zu urteilen“. Stellers Einschätzung des Gutachtens: „grob fahrlässig.“

Das Justizopfer aus dem saarländischen Marpingen zeigte sich nach der Verhandlung zufrieden und erleichtert: „Endlich sieht man ein Ende der Fahnenstange. Jetzt bleiben eigentlich nicht mehr viele Möglichkeiten, ein anderes Urteil zu fällen“, bilanzierte Kuß im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Der Verteidiger der Psychologin, Stephan Krempel, räumte nach dem Bericht des Sachverständigen ein: „Über diese Qualifizierungen kommen wir nicht weg.“ Je nach Entscheidung überlege er, eine Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, weil er die Ansprüche nach wie vor für verjährt halte.

Das Landgericht hatte seine Mandantin 2015 bereits zu 50 000 Euro Schmerzensgeld verurteilt, weil das Gutachten wissenschaftliche Standards nicht eingehalten habe. Dagegen hatte sie Berufung eingelegt. Kuß und seine Anwältin Daniela Lordt fordern 80 000 Euro Schmerzensgeld. Das Urteil soll am 23. November verkündet werden.

(dpa)
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