Jonglieren mit 190 Euro im Monat

Saarbrücken · 38 Jahre lang war Rita P. erwerbstätig, davon 31 Jahre ganztags. 839 Euro erhält sie dafür. Damit diese Rente ausreicht, muss sie auf vieles verzichten. Der SZ erzählte sie, wie sie täglich damit zurechtkommt.

 Ebbe im Portemonnaie: So manche Frau muss im Alter mit wenig Rente auskommen. Symbolfoto: Jens Büttner/dpa

Ebbe im Portemonnaie: So manche Frau muss im Alter mit wenig Rente auskommen. Symbolfoto: Jens Büttner/dpa

Am meisten vermisst Rita P. (Name geändert), dass sie nicht mehr regelmäßig schwimmen gehen kann. Nicht, dass die 72-Jährige nicht mehr fit genug dafür wäre. Aber eine Eintrittskarte für die Saarbrücker Schwimmbäder kostet 3,50 Euro. Dazu käme noch die An- und Abfahrt mit dem Bus. Das kann sich die Saarbrückerin, seit sie Rentnerin ist, einfach nicht leisten. Wie so vieles mehr, was für sie früher selbstverständlich war.

Rente als Lebensstandsicherung? So war es lange Zeit vom Gesetzgeber gedacht. Am Beispiel von Rita P. lässt sich zeigen, dass dieses Prinzip - vor allem für Frauen - schon heute nicht mehr gilt. Dabei war Rita P. 38 Jahre lang erwerbstätig, davon 31 Jahre ganztags und sieben Jahre der drei Kinder wegen halbtags, und hat in die Rentenkasse eingezahlt. In den 1950er-/60er-Jahren, erzählt sie, hätten sich Frauen nach der Heirat meist die bisherigen Rentenansprüche auszahlen lassen, um damit die Schlafzimmer- oder Kücheneinrichtung zu bezahlen. Diesen Fehler habe sie zwar zum Glück nicht gemacht, doch dafür andere.

So habe sie bei der Scheidung von ihrem ersten Mann nach 17 Ehejahren auf jegliche Versorgungsansprüche verzichtet. Später sei sie mit knapp über 60 Jahren vorzeitig in Rente gegangen, auf Drängen ihres zweiten Mannes. Er wollte, dass sie mehr Zeit für ihn hat. Auch diese Ehe wurde geschieden. "Die fünf Beitragsjahre fehlen mir jetzt", seufzt sie.

Rita P., die in ihren besten Zeiten 2000 Euro netto verdiente, erhält 839 Euro Rente. Für ihre 45 Quadratmeter kleine Zweizimmer-Wohnung zahlt sie 450 Euro Miete, 120 Euro kosten Haftpflicht- und Hausrat-Versicherung, die der Vermieter vorschreibe, 49 Euro Telefon und Fernsehen, 30 Euro die Sterbekasse. Zieht man diese Fixkosten ab, bleiben Rita P. monatlich 190 Euro für Ernährung, Pflege, Kleidung und alle weiteren Bedürfnisse übrig. "Ich habe nie in Saus und Braus gelebt, ich habe immer schon rechnen müssen", sagt P.. Aber dass sie nun so viele Abstriche vornehmen muss, hätte sie auch nicht gedacht.

Lebensmittel kauft Rita P. nur noch bei den Billigdiscountern. Nur ausnahmsweise, wenn sie mal Fisch oder ein besonderes Gewürz brauche, was es dort nicht gebe, gehe sie in einen normalen Supermarkt, sagt sie. Jemanden zum Essen oder Kaffeetrinken einladen? Das will wohl überlegt sein. Solche Mehrausgaben müsse man dann in den folgenden Tagen wieder einsparen. Mit Bekannten und Freundinnen trifft sich Rita P. vor allem im kirchlichen Frauenverein. Die Mitgliedschaft schlägt auf den Monat umgerechnet mit 2,17 Euro zu Buche. Zum jährlichen Wochenendseminar des Vereins - Kosten: circa 130 Euro - fährt sie nicht mehr mit. "Es war immer sehr interessant, da wurde man immer sehr bereichert", sagt Rita P. bedauernd. Auch wenn ihre Freundinnen ein Konzert besuchen, bleibt sie heute daheim. Das Theaterabo musste Rita P. ebenso aufgeben wie die Zeitung, und neuen Lesestoff besorgt sie sich in erster Linie durch Ringtausch von Büchern im Frauenverein. Der liegt zum Glück in ihrem Viertel ebenso "gleich um die Ecke" wie die Discounter und der Sportverein. In dem hält ich Rita P. für umgerechnet 2,63 Euro im Monat mit Gymnastik fit.

Nur ab und zu leistet sich Rita P. für 5 Euro ein Tageskarte, um mit dem Bus in die Innenstadt zu fahren und dann möglichst gleich mehrere Dinge zu erledigen. Wie gern hätte sie ein Seniorenticket, das freie Fahrt im Nahverkehr erlaubt! Auch, um ihre Kinder und Enkel zu besuchen. Für über 50 Euro im Monat ist dieses Seniorenticket-Abo für Rita P. jedoch unerschwinglich. Und noch ein Grund mehr, sich fit zu halten durch Bewegung. So geht sie die vier Kilometer zur City und zurück manchmal zu Fuß. "Ich walke auch viel und mache lange Spaziergänge in der Natur". Wenn sie das einmal nicht mehr kann - daran will P. lieber gar nicht denken. "Wenn man nur in seinen zwei Räumen sitzt den ganzen Tag, das muss ja furchtbar sein."

Derzeit sind 15,6 Prozent der Saarländer, die Altersrente beziehen, von Armut bedroht. Als armutsgefährdet gilt man nach Definition derzeit als Einpersonenhaushalt in Deutschland bei einer Rente von weniger als 849 Euro. 3,3 Prozent der Saar-Rentner sind auf Grundsicherung vom Sozialamt angewiesen, im Regionalverband sogar 5 Prozent.

Die Armut im Alter wird künftig immer mehr Menschen treffen. Den Grund dafür sehen viele Sozialexperten in den 2003 eingeleiteten Rentenreformen. Sie schrieben unter anderem fest, dass das Netto-Rentenniveau vor Steuern von heute rund 50 Prozent auf nur noch 43 Prozent im Jahr 2030 schrumpfen wird. Bei einem Bruttolohn von 2700 Euro - entspricht einem Stundenlohn von 15,34 Euro - erhält man nach 40 Versicherungsjahren heute noch 1007 Euro Rente, 2030 nur noch 849 Euro, rechnet Werner Müller, Sozialexperte bei der Arbeitskammer vor. Armut im Alter sei so programmiert, betonte Müller bei einer Podiumsdiskussion von Arbeitskammer und Seniorenbeirat der Landeshauptstadt, die sich Ende des Jahres mit dem Rentensystem als Armutsrisiko befasste.

"Vor allem Frauen müssen mit zu geringen Renten auskommen, wegen ihrer unterbrochenen Erwerbsbiografien aufgrund der Erziehung von Kindern, wegen Teilzeit- und Minijobs", so Ulrike Heydt vom Seniorenbeirat. Daran werden nach Ansicht von DGB-Chef Eugen Roth auch die neue Korrektur-Vereinbarung der Großen Koalition nicht viel ändern. "Dass man mit 63 Jahren abzugsfrei in Rente gehen kann - die Frauen haben davon nichts", sagte Roth.

Die geplante Mütterrente wiederum, darauf weisen Kritiker jetzt hin, wird mit der Grundsicherung verrechnet.

Schon heute erhalten Neurentnerinnen im Saarland im Schnitt nur 448 Euro, Neurentner bekommen dagegen durchschnittlich 1000 Euro im Monat. Die Armut ist also vor allem weiblich.

Der Anteil der Alten, die Grundsicherung beziehen, ist laut Guido Freidinger vom Sozialamt in Saarbrücken seit 2005 um 75 Prozent gestiegen. Die Stadt stellt die armen Alten vor große Herausforderungen. Günstige Wohnungen finden sie vor allem in Stadtteilen, die hinsichtlich ihrer Infrastruktur benachteiligt seien, so Freidinger. "Das bedeutet, ihre Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sind zusätzlich eingeschränkt."

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