Im Dunkeln die Welt sehen

Nonnweiler · Was geschieht, wenn die Augen ihren Dienst versagen? Wie können sehbehinderte Menschen ihren Alltag meistern? Beim Dunkelcafé im Nonnweiler Mehrgenerationenhaus interviewten Fünftklässler der Ringwallschule Primstal dazu die 20-Jährige Praktikantin Angelina Marinovic, die von Geburt an mit einer Sehbehinderung leben muss.

 Die sehbehinderte Angelina Marinovic (Bildmitte) mit den Fünftklässlern Jason, Niklas, Emily, Jamira und Sandro (v. links) im Nonnweiler Mehrgenerationenhaus. Foto: Faber

Die sehbehinderte Angelina Marinovic (Bildmitte) mit den Fünftklässlern Jason, Niklas, Emily, Jamira und Sandro (v. links) im Nonnweiler Mehrgenerationenhaus. Foto: Faber

Foto: Faber

Der Blick durch die rosarote Brille lässt die Welt um einen herum perfekt erscheinen. Das ist mit Sicherheit auch bei den Fünftklässlern der Ringwallschule so. Doch es gibt Menschen deren Sehkraft dermaßen eingeschränkt ist, dass sich ihre Umwelt nur in Grautönen darstellt, sie ist verschwommen, Farben können nicht wahrgenommen werden.

Die Sehkraft von Angelina Marinovic, zurzeit Praktikantin im Nonnweiler Mehrgenerationenhaus (MGH), beträgt zehn Prozent. Um sich in etwa vorstellen zu können, wie Angelina ihre Umwelt sieht, wird aus dem MGH-Raum ein Dunkelcafé. Dazu setzen die Schüler mit Krepppapier präparierte Sonnenbrillen mit dunklen Gläsern auf.

"Ich würde beim Fußball doch den Ball nicht mehr sehen", sagt die elfjährige begeisterte Fußballerin Emily. "Ich erkenne gar nichts", ergänzt Felix (11). "Beim Schwimmen wüsste ich nicht, wann ich an den Beckenrand komme", meint er. Für die Kinder ist es eine schockierende Vorstellung, kaum noch etwas sehen zu können und seiner Lieblingsbeschäftigung nicht mehr nachgehen zu können.

Angelina lebt seit ihrer Geburt mit diesen Einschränkungen. Wie meistert sie ihren Alltag? Dazu haben die Schüler die 20-Jährige in einer Interviewrunde befragt. "Brauchst du Hilfe beim Anziehen?", will Jason (12) wissen. Angelina entgegnet locker: "Ich habe was an den Augen, aber nichts an den Armen." Wie schwer sei für sie die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, fragt Felix. "Beim Bahnfahren kann ich beim Ein- und Aussteigen den Abstand schlecht einschätzen", teilt die junge Frau aus Nonnweiler mit. Sie habe sich enorm entwickelt, beurteilt Vera Rausch, ihre frühere Erzieherin im Kindergarten Otzenhausen und erinnert sich. "Wenn wir Perlen zu einer Kette eingefädelt haben, hat sie das sehr exakt gemacht. Sie war damals noch sehr schüchtern, aber sehr liebenswert", berichtet Rausch. Auch später sind sich beide in Abständen immer wieder mal begegnet. "Tante Vera, wie geht es dir, hat sie mich sofort begrüßt", schildert Rausch.

Das Münzgeld erkennt sie an den Rillen, die Geldscheine aus Papier an den verschiedenen Größen, erklärt die Praktikantin auf eine weitere Frage hin. "Kannst du Malen und Basteln?", erkundigt sich Jamira (11). Etwas, so Angelina, doch es sehe nicht immer schön aus.

Als Fähigkeit stellt sie ein besseres Gehör in den Vordergrund. "Es hilft mir sehr, wenn ich eine Straße überqueren muss", erklärt Angelina. Ihr Jack-Russel-Terrier Jason sei ihr großes Hobby, ihre Freunde erkenne sie an deren Stimme. "Wie das sein könnte, mit einer Sehbehinderung zu leben, hätte ich mir vor der Begegnung mit Angelina überhaupt nicht vorstellen können", sagt Felix. Nach Beendigung ihres Praktikums im MGH kehrt Angelina nach Marburg zurück, dort besucht sie eine Schule für Sehbehinderte, sie möchte das Abitur machen und danach ein Studium der Psychologie beginnen. Das Dunkelcafé war ein Projekt von ihr und des MGHs in Kooperation mit der Ringwallschule Nonnweiler-Primstal.

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