"Illegales Sprayen ist eine Sucht"

Saarbrücken · Paul ist Sprayer. Nachts hinterlässt er seine Bilder in der Stadt. Dabei steht er mit anderen Sprayern im Wettkampf um auffällige Orte, aufwändige Motive und ausgefallene Stile - denn die Konkurrenz schläft nicht.

 Paul will seine Graffiti an möglichst auffälligen Orten platzieren. Hier der Pfeiler einer Autobahnbrücke in Konstanz. Fotos: Paul (2), Klammer

Paul will seine Graffiti an möglichst auffälligen Orten platzieren. Hier der Pfeiler einer Autobahnbrücke in Konstanz. Fotos: Paul (2), Klammer

Saarbrücken. "Du suchst als Sprayer immer nach einer Steigerung", sagt Paul (24). Seinen richtigen Namen will der Saarbrücker nicht nennen, unerlaubtes Sprayen ist strafbar. Genau das bringt Pauls Augen zum Strahlen, als er über seine "Sucht" spricht.Er zeigt seine Werke auf Fotos: Mal abstrakte Schriftzüge an Zugwaggons, mal Landschaften auf Brückenpfeilern. Hauptsache bunt, groß und auffällig. "Es gibt für mich nichts Geileres, als auf dem Weg zur Arbeit fünf meiner Bilder zu sehen", sagt er sichtlich stolz.

Angefangen zu "malen", wie er es nennt, hat Paul vor acht Jahren. Gemeinsam mit Freunden zieht er seitdem nachts los, um mit Dosen, Rollen und Pinsel sein Revier zu markieren.

Paul ist "kein Ghettokind, das nur Mist baut", sagt er. Der 24-Jährige ist gebildet, hat studiert. Seine Begeisterung erklärt er so: "Als Sprüher stehst du im ständigen Wettbewerb mit anderen Sprayern. Mit deinen Bildern machst du in der Szene Werbung für dich."

Selbst Hauswände von Privatleuten zweckentfremdet der 24-Jährige für seine Sprühkünste. "Mir liegt mit Sicherheit mehr an der Hauswand als dem Besitzer", sagt er überzeugt. Unrechtsbewusstsein oder Mitleid mit den Anwohnern empfindet er nicht. Schließlich geht es beim Kräftemessen der Kreativen um die auffälligsten Orte ("Spots"), die schönsten Bilder und deren Bestand - und den erschweren nicht nur genervte Hausbesitzer, die ihre Wände wieder säubern lassen.

"Natürlich ist die Polizei einem als illegaler Sprüher auf den Fersen", sagt er. "Aber meine Jungs und ich waren gut organisiert. Wir haben den Polizeifunk angezapft und uns mit Walkie-Talkies verständigt."

Erwischt hat ihn die Polizei dennoch zweimal, er landete vor Gericht. "Weil ich minderjährig war, gab's aber nur Arbeitsstunden."

Sprayer arbeiten schnell und haben meist nur wenige Minuten, um ihre Bilder zu malen. Zeitdruck, der auch sein Gutes hatte: Im Laufe der Jahre hat Paul seine Technik verfeinert. "Keiner malt sauberere Linien als ich", sagt er und schwingt seinen Arm zwei Meter durch die Luft. "Egal, unter welchen Umständen. Nachts oder wenn an der Autobahn Lkw auf Kopfhöhe an dir vorbeidonnern - jeder Handgriff muss einfach sitzen."

Heute weiß er genau, wie und wann er sich in der Stadt bewegen kann. Er merke Passanten an, ob sie gleich die Polizei rufen oder nicht. Mit Kapuzenpullover und Atemmaske läuft er jedenfalls nicht umher. "Viel zu klischeehaft und auffällig", sagt er und winkt ab.

Das Älterwerden hat nicht nur Vorteile. Paul kommt berufsbedingt nicht mehr so häufig zum Malen - und die nächste Sprayer-Generation steigt schon in den Konkurrenzkampf ein. "Malen ist wie Politik", betont er mehrfach, als er vom Umgang der Sprüher untereinander spricht. Die Szene kenne sich, es gebe Prinzipien. So gilt unter Graffiti-Künstlern, dass Sprayer gute Bilder anderer nicht übermalen. Aber nicht alle halten sich daran. "Dann verhängen wir Sanktionen", sagt er, als hätte er keine andere Wahl. "Wir übermalen dann solange ihre Bilder, bis sie es verstehen. Nur so lernen sie es."

Damit seine Bilder auch weiterhin das "Stadtbild prägen", grundiert er Mauern mittlerweile sogar oder putzt in mühseliger Kleinstarbeit vorab die Wand. "Mit dem Alter steigen eben die Ansprüche. Eine Wand muss wirken", sagt Paul.

 Auch in einer verlassenenen Saarbrücker Halle hat er sich verewigt.

Auch in einer verlassenenen Saarbrücker Halle hat er sich verewigt.

 Paul will nicht erkannt werden.

Paul will nicht erkannt werden.

 Paul will seine Graffiti an möglichst auffälligen Orten platzieren. Hier der Pfeiler einer Autobahnbrücke in Konstanz. Fotos: Paul (2), Klammer

Paul will seine Graffiti an möglichst auffälligen Orten platzieren. Hier der Pfeiler einer Autobahnbrücke in Konstanz. Fotos: Paul (2), Klammer

 Auch in einer verlassenenen Saarbrücker Halle hat er sich verewigt.

Auch in einer verlassenenen Saarbrücker Halle hat er sich verewigt.

 Paul will nicht erkannt werden.

Paul will nicht erkannt werden.

Er ist sich sicher, dass andere Sprayer seinen Aufwand und die Qualität seiner Bilder honorieren. Seine Augen glitzern, als er sagt: "Mit einem Graffito hinterlässt du der Nachwelt etwas. Du wirst gewissermaßen unsterblich." Vorausgesetzt, andere Sprüher malen ihm nicht in die Quere.

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